Kirche der Krippe
Weihnachtliche Strukturreform: Das Kind im Stall von Bethlehem brauchte keine Millionen und keine Stellenpläne– wohl aber die Traurigen, Abgerissenen, Mutlosen. Und auch verzagte Hirten.Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging, dass alle Zukunft geschätzt würde. Und diese Schätzung war nicht die allererste, doch sie war besonders niederschmetternd. Und wurde immer niederschmetternder. Sollte denn die Zahl der Gläubigen immer weiter dahinschmelzen wie ein bisschen Schnee in der sich von Jahr zu Jahr erwärmenden Dezembersonne?
Und es waren ein paar gläubige Menschen in derselben Gegend auf dem Felde, die hüteten des Nachts die Herde ihrer Gemeinde. Und sie taten es gut, weil es ihnen wichtig war, trotz all der Sorgen um die Zukunft, um all die schwindenden Mitglieder und Finanzen. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
Und der Engel sprach zu ihnen: »Fürchtet euch nicht!« Die Hirten der Gemeinden wollten es gern glauben, oft predigten sie es sogar, doch es fiel ihnen schwer. Fürchtet euch nicht davor, dass die Kirche nicht mehr im Dorf bleibt? Dass immer weniger Kinder in die Christenlehre kommen, es kaum noch Konfirmanden gibt im Ort, und bald auch noch die Pfarrstelle gestrichen wird? Dass die Seelsorgerin vor lauter Hetzerei sich kaum noch um Seelen sorgen kann, dass dem Kantor mit seiner Mini-Stelle und der ausufernden Arbeit selbst im Advent das Singen vergeht?
Die Hirten der Gemeinden begannen einen Gesprächsprozess. Es ging hoch her, mit Kampfabstimmungen in ihrer kleinen Synode und Demonstrationen mit liebevoll gebastelten Holzschildern, natürlich auch Podiumsdiskussionen. Die Sache war ernst.
»Bevor wir uns nicht fürchten, müssen wir erst einmal Strukturen schaffen, damit wir uns nicht fürchten«, meinten die einen. Dafür brauchen wir hunderte Stellen, meinten die anderen. Fachkräftemangel, riefen die Dritten, also bitte nicht so schlecht bezahlt wie Altenpflegerinnen oder, sagen wir, Grundschullehrer. Würden 217 Millionen Euro im Jahr reichen? Mmh, geht so, überlegten die Hirten.
»Siehe, ich verkündige euch große Freude«, sprach der Engel zu den Hirten, »die allem Volk widerfahren wird«. Doch das Volk in den Gemeinden war nicht minder aufgewühlt. Ja, es mag schon eine große Freude sein, fanden viele. Aber was ist, wenn die Kurrende meiner Tochter nur noch zwei Dörfer weiter singt, wenn der Seniorenkreis plötzlich zusammen mit den Senioren aus dem Nachbarort stattfindet, die man doch gar nicht kennt? Oder, schlimmer noch: Wenn sonntags in der Kirche der örtliche Klempnermeister – ein frommer Mann, gewiss, voller Lebens- und Glaubenserfahrung, aber doch kein Pfarrer – die Gebete spricht und die Bibel auslegt? An die Hirten auf den Feldern vor Bethlehem dachte da keiner.
So diskutierten sie hin und her. So laut, dass kaum zu hören war, was der Engel sonst noch zu sagen hatte. »Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.« Dort hatten sich unterdessen schon längst ein paar abgerissene, traurige Gestalten und sogar Tiere eingefunden. Ganz ohne Struktur und Stellenpläne und Millionen. Einfach so, weil da etwas ihr Herz berührte. Dieser seltsam kleine, große, arme, reiche Gott.
Er hatte ihr Herz ergriffen und verändert. Er hatte sie getröstet. Und er hatte die feste Absicht, das auch mit den verängstigten Hirten zu tun, die noch fleißig am Bauen neuer Koppeln für ihre Gemeinden waren. »Fürchtet euch nicht«, sprach noch einmal der Engel zu ihnen. Geht ruhig hinaus ins Freie. Dorthin, wo auch die abgerissenen und traurigen Gestalten sind. Und vergesst nicht, etwas abzugeben. Das ist eine weihnachtliche Strukturreform. Die inneren Türen macht sie sperrangelweit auf.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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