Mehr zusammen als getrennt
Fliehkräfte: Die Konservativen in der Landeskirche haben mit Bekenntnis-Initiative und Bischof eine starke Stimme – jetzt wollen andersdenkende Christen dagegenhalten. Droht eine Zerreißprobe?
Es gab Tränen in der Hohnsteiner Stadtkirche, Bedauern und viele Geschenke zur Verabschiedung von Pfarrerin Katrin Jell. »Die Wahl des Landesbischofs und seine Wortmeldungen zur Homosexualität kurz vor seiner Amtseinführung mussten wir als klares Signal in unsere Richtung lesen«, sagt Katrin Jell. »Für uns besteht keine Perspektive in dieser Landeskirche.« Sie wechselt mit ihrer Frau, die auch Pfarrerin ist, in eine mecklenburgische Landgemeinde. Dort versteht man die Sachsen nicht.
Das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist in Sachsens Landeskirche, reicht für Katrin Jell schon bis weit vor die Bischofswahl. Und es betrifft keineswegs nur die Haltung zur gleichgeschlechtlichen Liebe. »Wir wollen in einer Kirche leben, die Menschen mit unterschiedlichen Gaben als Bereicherung sieht – und nicht als Makel. Hier aber ist ein Gefühl der Enge.« Die Pfarrerin kennt Kollegen, die wie sie gegangen sind. Oder überlegen zu gehen. Ins Ausland, in eine andere Kirche. Oder in die innere Emigration.
Auf konservativer Seite gibt es ganz ähnliche Fliehkräfte. Die Erregbarkeit ist auf allen Seiten hoch. Die vor vier Jahren gegründete Sächsische Bekenntnisinitiative hat im vergangenen Oktober ihre Ziele noch einmal überarbeitet: den kritischen Blick auf die historisch- kritische Bibelauslegung, gegen die Anpassung der kirchlichen Botschaft an »links-grüne« Überzeugungen, gegen die Segnung homosexueller Paare oder ihren Einzug in Pfarrhäuser. Doch sie ist nach dem Einzug des ihr nahestehenden Carsten Rentzing ins Bischofsamt leiser geworden. Erst am vergangenen Wochenende gründeten über 200 Christen in Leipzig ein Gegengewicht: das Forum für Gemeinschaft und Theologie.
Steht die Landeskirche vor einer Zerreißprobe, wie einige Zeitungen mutmaßen? Zwar gibt es in Synode wie Kirchenleitung Vertreter der Bekenntnisinitiative wie der so genannten liberalen Richtung und beide Seiten drängen in die Gremien – doch wie schon bei der Bischofswahl ergeben sich bei Abstimmungen zu vielen Themen keine festen Blöcke. Dafür immer wieder überraschende Mehrheiten.
Selbst Kritiker des konservativen Bischofs Rentzing loben heute seine wertschätzende, zuhörende und vermittelnde Art – egal, ob es um Flüchtlinge oder Strukturfragen geht. Und wenn in naher Zukunft vielleicht das erste gleichgeschlechtliche Paar in ein sächsisches Pfarrhaus einziehen wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der neue Bischof nichts dagegen einzuwenden hat. Seinen konservativen Anhängern wird das zu weit gehen, anderen wiederum ist das viel zu wenig.
Über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare diskutiert die Kirchenleitung seit einem Jahr hinter verschlossenen Türen. In einigen Großstadtgemeinden ist sie längst Wirklichkeit – für konservative Gemeinden ein Widerspruch zur Bibel. Der Landesbischof will eine Lösung, die beide Positionen nebeneinander möglich macht. Den Schlüssel dafür habe die Landeskirche längst, sagt Synodenpräsident Otto Guse: »Im April 2015 hat die Synode nach drei Jahren Gesprächsprozess beschlossen, dass unterschiedliche Auffassungen, die geistlich und theologisch gut begründet sind, Raum und Schutz haben in unserer Landeskirche. Klarer kann man das nicht machen. Denn die Landeskirche ist vielschichtig.«
So vielschichtig, dass ein Positionspapier zum Dialog mit dem Islam in der Synode seit fast einem Jahr von konservativer Seite blockiert wird, wie zu hören ist. Und die Kirchenleitung lange an einem klaren Wort zu Pegida feilen musste – am Ende war es einigen Leipziger Pfarrern zu lasch, anderen in der Landeskirche zu links-grün. Die Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« titelte danach: »Oh Gott, Sachsen«.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.