Leiden und Loben

Erwartung: An diesem Sonntag geht der Blick auf die Wiederkunft Christi. Noch dem Leiden unterworfen, sind wir unaufhaltsam unterwegs zu ihm. Paul Gerhardt hilft, in dieser Spannung zu leben.
Von Margot Käßmann
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© Foto: epd-bild/Jens Schulze

Gerade heute, in schwieriger Zeit, ist es wichtig, Worte eines anderen zu kennen, die trösten, wenn es dir selbst die Sprache verschlägt. Vielleicht ist unsere Zeit, in der die Überzeugung, dass der Mensch alles im Griff habe, wankt, eine Chance, Paul Gerhardt (1607–1676) neu zu entdecken. Er hat es wie kein anderer Lieddichter vermocht, den Blick für die Schönheit, aber auch für das Leiden, die Lebensfreude und die Trauer beisammen zu halten. Nehmen wir ein Trostlied wie »Befiehl du deine Wege«. Ich kann nicht zählen, auf wie vielen Beerdigungen das mit der Gemeinde gesungen wurde. Und ich habe oft erlebt, dass Menschen mich hinterher gebeten haben, ihnen den Text zu geben. Sie wussten nicht, dass es im Gesangbuch steht, das ist sicher schade. Ihr Interesse zeigt, wie sie auch heute etwas an diesen Worten berührt hat. Auch mir geht das bis heute so: »Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann« – was für ein wunderbarer Gedanke, eine Ermutigung, dass es auch in schwierigen Zeiten mit Gottes Hilfe weitergehen wird!

Paul Gerhardt war leidgeprüft. Beide Eltern starben früh und ließen vier Vollwaisen zurück, Paul Gerhardt war damals 14. Etwa zeitgleich brach der Dreißigjährige Krieg aus, wie Inge Mager schreibt, »die traurige Begleitmusik seines weiteren Lebens«. Von den vier Kindern, die bis 1664 geboren werden, überlebt nur Paul Friedrich. Der Verlust der Kinder spiegelt sich immer wieder in Gerhardts Liedern. In ihnen ist ein leicht resignativer Grundton zu erkennen, der die Sehnsucht nach dem himmlischen Garten, dem Paradies anklingen lässt. Er thematisiert Leiden und Sterben, das Kreuz ist eines seiner großen Themen. Aber niemals bleibt er beim Leiden stehen, immer wieder enden die Verse in der großen Glaubenshoffnung der zukünftigen Welt. Das ist allerdings keine Vertröstung, die von dieser Welt ablenkt, wegführt, sondern in die Welt verweist. »Schwing dich auf zu deinem Gott, du betrübte Seele! Warum liegst du, Gott zum Spott, in der Schwermutshöhle?« Das ist ein immer wiederkehrendes Motiv. »Was kränkst du dich in deinem Sinn und grämst dich Tag und Nacht? Nimm deine Sorg und wirf sie hin auf den, der dich gemacht.«

Leiden ist auch für Paul Gerhardt eine Glaubensanfechtung, aber sie mündet für ihn in der Erfahrung, dass Gott ihn im Leiden trägt, der Glaube sein Halt ist. Leiden und Tod lassen uns manches Mal an Gott zweifeln. Paul Gerhardts Dichtungen stehen dafür ein, dass sie eben nicht eine Erfahrung von Gottesferne sind, sondern gerade ein Erfahrungsraum für Gottesnähe. So ermutigt er uns auch heute, den Tod und das Leiden nicht zu verdrängen, sondern als Teil des Lebens zu verstehen und zu thematisieren. In der persönlichen Gottesbeziehung ist unser Leid aufgehoben. In mir klingt Gottes Liebe und ich will sie zum Klingen bringen. Wir können die Welt mitgestalten, an dem Ort, an den Gott uns stellt, anderen zur Seite stehen, wo wir unsere eigene Kraft spüren und Lebenslust und Freude weitergeben. Paul Gerhardt zeigt uns, wie Glaube und Weltverantwortung untrennbar miteinander verbunden sind.

Wenn wir also das Erbe Paul Gerhardts betrachten, so finden wir durchaus einen Leitfaden auch für den Glauben, ja für unsere Kirche heute. Die feste Orientierung an der Bibel, offene Auseinandersetzung mit Leiden und Tod, eine klare Sprache, Spiritualität und Standfestigkeit – daran wird sich entscheiden, wie wirksam und überzeugend das Christentum in unseren Breitengraden im 21. Jahrhundert ist.

Wir brauchen Vorbilder im Glauben, die fest verwurzelt sind in der biblischen Zusage und daraus die Kraft schöpfen, mitten im Alltag dieser Welt ihren Mann und ihre Frau zu stehen, Christinnen und Christen mit Mut zur Verantwortung.

Auszug aus dem Buch: Konrad Klek (Hrsg.): Voller Freud ohne Zeit. Das Paul-Gerhardt-Lesebuch. Edition Chrismon 2018.  

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