Kirche wird Minderheit
Zahlen: Im letzten Jahr haben die evangelische und katholische Kirche so viele Mitglieder wie noch nie verloren – zusammen über eine Million. Damit sank der Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung auf unter 50 Prozent.
Im Jahr 2021 war erstmals weniger als die Hälfte der Deutschen katholisch oder evangelisch. Das zeigen die am Montag veröffentlichten Zahlen der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Demnach waren rund 21,6 Millionen Menschen katholisch, mehr als eine halbe Million weniger als noch 2020. Damit sank die Zahl der evangelischen und katholischen Kirchenmitglieder erstmals auf unter 50 Prozent der deutschen Bevölkerung. In Deutschland machen die Katholiken 26 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, rund 23,7 Prozent sind Protestanten. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte ihre Statistik bereits im März veröffentlicht. Demnach gehörten 19,7 Millionen Deutsche einer der 20 evangelischen Landeskirchen an. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg im Vergleich zum Pandemiejahr 2020 um 60 000 auf rund 280 000. Damit lag die Austrittsrate bei rund 1,4 Prozent. In den 27 katholischen Bistümern beläuft sich der Mitgliederverlust auf 547 125. Ein Grund für diesen hohen Rückgang ist die Zahl der Kirchenaustritte, die auf 359 338 stieg. Damit verlor die Kirche fast 138 000 Mitglieder mehr als noch 2020, noch nie traten so viele Menschen aus der katholischen Kirche aus.
Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sagte, die 50-Prozent-Schwelle sei eine wichtige Marke. Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse wandeln, dann stehe die Mitgliedschaft bei vielen infrage, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Trend zum Kirchenaustritt werde sich weiter beschleunigen. »Die Beschleunigung könnte noch einmal zunehmen, weil die Kirchenmitgliedschaft immer stärker der Rechtfertigung bedarf«, sagte Pollack. Die Kirchen könnten wenig tun, um den Trend aufzuhalten. »Wer weg ist, den kriegt man kaum wieder.« Der Universitätsprofessor plädierte dafür, dass die Kirchen sich auf die Seelsorge konzentrieren. »Dort hat das, was die Kirche tut, oft einen unmittelbaren Effekt«, sagte er. Die Kirche sei eine »Institution im Hintergrund«, die man gelegentlich in Anspruch nehme – etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen. Doch jeder Mensch kenne Phasen im Leben, in denen er Begleitung schätze.
Kirchenmitgliedschaft habe sehr wohl einen Effekt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagte Pollack. Kirchenmitglieder und religiöse Menschen hätten Studien zufolge mehr Vertrauen in andere Menschen und würden sich auch mehr ehrenamtlich engagieren. »Kirchenmitgliedschaft macht für das soziale Band unserer Gesellschaft also durchaus einen Unterschied, wenn auch keinen großen«, erläuterte der Wissenschaftler.
Der Theologe und Sozialwissenschaftler Georg Lämmlin sieht die christlichen Kirchen angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen unter Druck. Es steige die Herausforderung, neue Formen der Mitgliederbindung und öffentliche Relevanz zu finden, sagte der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD dem epd. Die Zahlen machen Lämmlin zufolge deutlich, wie nötig kirchliche Transformationsprozesse sind. Er plädiert für mehr innovative Beteiligungsformate, mehr soziale Nähe und einen Austausch auf Augenhöhe. Die religiöse Kommunikation müsse »von der Kanzel herunter« in die Mitte des gesellschaftlichen Dialogs. Es gehe darum, zuzuhören, Alltagsthemen wahrzunehmen und die Menschen einzubeziehen.
Kirchen böten ideale Bedingungen für zivilgesellschaftliches Engagement. Ob es darum gehe, kontroverse Debatten zu moderieren oder Plattformen für Initiativen bereitzustellen: »In den Kirchen schlummert ein Reichtum an sozialer Teilhabe und Sinngebung, die neu in die Gesellschaft eingespielt werden kann.« Beteiligung, Engagement und Interaktion lösten bei den Menschen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit aus. Insofern sei dieser Dreiklang eine »Zauberformel«, damit sich die Menschen wieder mit der Kirche identifizieren könnten. Er sei überzeugt, dass sich auf längere Sicht wieder Vertrauen in die Kirche entwickeln werde, weil ihre Versöhnungsbotschaft aktuell und wichtig bleibe, sagte Lämmlin.
(epd)
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.