Als Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens wirbt Tobias Bilz seit 2020 für mehr Flexibilität der Gemeinden und Engagement in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressdienst (epd) äußert er sich über aktuelle Herausforderungen, leer stehende Kirchen und den Umgang mit der AfD.
epd: Seit mehr als einem Jahr gibt es einen Rechtsstreit über die Strukturreform in Leipzig. Das kirchliche Verwaltungsgericht erklärte nun einen Bescheid des Landeskirchenamtes, in Leipzigs Innenstadt eine größere strukturelle kirchliche Einheit zu bilden, für rechtswidrig. Was bedeutet das für die Strukturreform insgesamt?
Bilz: Das Urteil sagt zunächst nicht mehr und nicht weniger, als dass der Bescheid des Landeskirchenamtes nicht den Anforderungen genügt, die für seine Gültigkeit gegeben sein müssen. Das Landeskirchenamt und die betroffenen Gemeinden in Leipzig warten jetzt auf die ausführliche Urteilsbegründung. Danach ist eine Bewertung des Urteils möglich. Ich gehe davon aus, dass wir in gutem Kontakt mit den Gemeinden die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen werden.
epd: Spüren Sie als Bischof bei diesem Thema einen Unmut der Leipziger Kirchgemeinden?
Bilz: Ich habe vor allem einen energisch vorgetragenen Widerspruch erlebt. Dabei waren nicht nur die rechtlichen Aspekte zu klären. Es ging und geht auch um den Umgang miteinander. Deshalb gab es Gespräche zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Kirchgemeinden und des Landeskirchenamtes. Aus diesen Gesprächen heraus bin ich sehr zuversichtlich, dass wir alle Folgefragen in einem konstruktiven Dialog miteinander klären können.
epd: Sehen Sie die Gefahr, dass andere Gemeinden dem Beispiel aus Leipzig folgen und auch Einspruch erheben?
Bilz: Inzwischen wurde – außer in den genannten Gemeinden in Leipzig – überall die neue Struktur aufs Gleis gesetzt. Seit Januar 2020 arbeiten unsere Gemeinden daran, sie zu gestalten. Es gibt inzwischen vielfältige inhaltliche und organisatorische Veränderungen. Auch personell haben unsere Gemeinden neue Formen der Zusammenarbeit gefunden. Grundsätzlich hat sich die Einsicht eingestellt, dass die Strukturreform auch neue Chancen und Möglichkeiten eröffnet.
epd: Die Kirchen in Deutschland verlieren seit Jahren Mitglieder. Welche Strategie verfolgt die sächsische Landeskirche vor diesem Hintergrund? Wie stellt sie sich neu auf?
Bilz: Der Verlust an Kirchenmitgliedern ist für unsere Kirche ein schmerzlicher Prozess. Einem Kirchenaustritt geht meist ein Entfremdungsprozess voraus. Ich beobachte, dass die Erwartungen, die die Menschen an die Kirche haben, so gegensätzlich sind, dass es kaum möglich ist, ihnen nachzukommen, ohne andere Gemeindemitglieder zu enttäuschen. Wir tun als Kirche gut daran, unsere Glaubensüberzeugungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen fröhlich zu vertreten. Zugleich wird viel davon abhängen, wie nah wir bei den Menschen und ihren Lebensfragen sind.
epd: Was ist mit den zahlreichen Kirchen und Kapellen in Sachsen, wird die Landeskirche einige von ihnen in naher Zukunft abgeben müssen?
Bilz: Unsere Kirchen und Sakralbauten sind nicht nur für die Kirchgemeinden, sondern auch für die Städte und Dörfer wichtige Identifikationspunkte. Das hat sich nach dem schlimmen Kirchenbrand in Großröhrsdorf gerade wieder eindrucksvoll gezeigt. Deshalb hat unsere Landeskirche keine Pläne für die Abgabe von Gotteshäusern. Wir leben auch davon, dass mehr als 90 Prozent in einem guten bis sehr guten Zustand sind. Auch wenn eine Kirche nicht mehr regelmäßig genutzt werden kann, bleibt sie in der Regel dennoch als Kirche gewidmet.
epd: 2024 sind in Sachsen wieder Landtagswahlen. Derzeit steht die Zustimmung für die in Teilen rechtsextreme AfD in den neuen Ländern bei etwa 30 Prozent. Was ist zu tun? Wie können und müssen Kirchen reagieren angesichts dieser radikalen Tendenzen?
Bilz: Wenn ein steigender Prozentsatz der Bevölkerung bereit ist, eine in Teilen rechtsextreme Partei zu unterstützen, stellt sich die Frage, wie es zu dieser Haltung kommen konnte. Was macht diese Partei attraktiv? Unsere Aufgabe ist, mit den Menschen darüber zu sprechen, woher diese innere Distanz zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung kommt. Kirche betrachtet auch gesellschaftliche Entwicklungen aus der Sicht des Glaubens. Wenn eine Partei vehement infrage stellt, dass alle Menschen gleiche Würde und gleichen Respekt verdienen, dann entspricht das nicht der christlichen Haltung. Wenn eine Partei nationalistisch denkt, dann sagen wir als Christinnen und Christen: Der christliche Glaube ist nicht national, sondern er ist universal.
epd: Der langjährige Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, Christian Wolff, fordert mehr klare Kante und Engagement der Kirchen gegen eine zum Teil menschenverachtende Ideologie der AfD? Unterstützen Sie ihn?
Bilz: Pfarrer Wolf ist dafür bekannt, die Kirche mit scharfen Zuspitzungen zu kritisieren. Auch wenn ich seine Ein- und Ansichten nicht immer teile, lohnt es sich doch, sich damit auseinanderzusetzen. Im Blick auf die AfD ist zu sagen, dass wesentliche Teile ihres Menschenbildes nicht mit dem Evangelium vereinbar sind. Wir werden im kommenden Wahlkampfjahr alles Notwendige sagen, was zu sagen ist. Ich füge persönlich hinzu: Ich kann nicht empfehlen, dass Christinnen und Christen die AfD wählen.
epd: Eine Nachricht erschüttert derzeit die sächsische Landeskirche: Die barocke Kirche in Großröhrsdorf ist nach einem Brand völlig zerstört. Sie waren vor Ort und haben mit der Gemeinde gesprochen. Wie geht es jetzt weiter?
Bilz: Zunächst müssen die Menschen vor Ort und auch wir als Landeskirche den Schock verarbeiten, dass eine Kirche abgebrannt ist – eine, die in einem gut sanierten Zustand war, die eine wertvolle barocke Kirche in der Oberlausitz war und die es jetzt nur noch als Ruine gibt. Die Menschen vor Ort reagieren mit einer ganz großen Betroffenheit, und zwar unabhängig davon, ob sie Kirchenmitglieder sind oder nicht. Zugleich nehme ich wahr, wie in der Stunde der Not die Menschen dort zusammenstehen.
epd: Soll die Kirche nach barockem Vorbild wiederaufgebaut werden?
Bilz: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es steht mir auch nicht zu, für die Menschen in Großröhrsdorf zu sprechen. Ich wünsche ihnen, dass sie jetzt ausreichend Zeit für die Trauer haben und danach in Ruhe überlegen, wie ein Neubau in ihrer Stadt aussehen sollte.
epd: Von welcher Zeitspanne reden wir?
Bilz: Diese Diskussion braucht Zeit. Ich rechne mit einem Klärungsprozess im ersten Jahr nach dem Brand. Dass wieder eine Kirche gebaut wird, daran besteht kein Zweifel. Die Landeskirche wird die Kirchgemeinde vor Ort aktiv unterstützen.
epd: Ein Thema, was Menschen derzeit umtreibt, ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Er wird Arbeitsprozesse nachhaltig verändern. Was bedeutet das für die Tätigkeit von Pfarrerinnen und Pfarrern? Ist es ethisch vertretbar, Predigten von KI schreiben zu lassen?
Bilz: Eine Predigt spricht nicht in erster Linie theologische Richtigkeiten aus. Wir Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst sind keine Automaten für die Weitergabe des lebendigen Wort Gottes. Wir erklären auch nicht nur einen biblischen Text. Sondern der Prediger oder die Predigerin deutet den Text mit seiner Kompetenz. Wir sprechen gern von einem „Auslegungsviereck“: Da sind der Text und der Prediger, die Menschen, die kommen und eben auch die aktuelle Situation. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine KI-Predigt dem gerecht werden kann. Sie kann Inhalte wiedergeben, aber sie kann nicht die Person des Auslegers ersetzen oder die konkrete Situation vor Ort während der Rede in den Text einfließen lassen.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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