Danke für den Überfluss
Kaufen, wegwerfen, kaufen: Man muss nicht immer über den Überfluss schimpfen. Man kann auch dankbar für ihn sein – wenn er nicht gerade zum Gott wird.
Beim Erntedankfest tritt das Alltägliche in blumengeschmückten Kirchen kurz heraus aus seiner Selbstverständlichkeit. Im besten Fall lässt es Staunen. Denn der Überfluss in unseren Landen ist wirklich zum Staunen. Die Ausgaben der privaten Haushalte werden in diesem Jahr wieder einmal um 1,5 Prozent steigen, sagt die Gesellschaft für Konsumforschung voraus. Allein 151 Milliarden Euro gaben die deutschen im letzten Jahr für neue Kleidung, Elektroartikel, Möbel oder Heimwerkerbedarf aus – Tendenz weiter steigend.
Die dunkle Rückseite des Überflusses ist das Wegwerfen des Alten. Aber ist das verwerflich? Gott selbst ist nicht nur ein großer Schöpfer, sondern war – zumindest eine Zeit lang, glaubt man den Deutungsversuchen im Alten Testament – auch ein großer Wegwerfer. Als seine Schöpfung aus dem Ruder lief, schickte er eine Sintflut; als sein geliebtes Volk Israel seine Liebe nicht erwiderte, lieferte er es fremden Mächten aus.
Von der Leichtfertigkeit eines Shoppers erzählen diese alten Geschichten nichts. Sie erzählen das Gegenteil: von einem Gott, dem es das Herz zerreißt, wenn er wegwirft. Und der deshalb seinen Entschluss am Ende ändert. Mit Noah und seinem Volk schließt er Frieden, will nicht mehr wegwerfen – auch all das Unvollkommene, Zerschlissene, Böse nicht. Als habe er akzeptiert, dass auch dies Teile seiner Schöpfung sind. Aus Liebe.
Dem Menschen will das nicht gelingen. Er jagt ständig nach dem Neuen, dem Vollkommeneren. Je mehr er kauft, desto mehr wirft er weg. Das kann ein Frevel sein für die Schöpfung oder für andere Menschen. Oder für die Seele. Denn das Kaufen kann etwas Religiöses gewinnen. Deshalb sagte Jesus, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr kommt als ein Reicher ins Himmelreich. Weil sich an den Kauf der Dinge leicht die Hoffnung knüpfen kann, dass sie Glück bringen, Harmonie, Heil. Als hätte Jesus die Versprechen der modernen Werbeindustrie geahnt.
Und deshalb erzählte er die Geschichte von einem reichen Bauern, der immer mehr an Korn und Reichtum ansammelte, um endlich Ruhe für seine Seele zu finden. Da aber sprach Gott: »Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?« (Lukas 12,20).
Müsste dann das Erntedankfest nicht besser ein Fest der Warnung vor dem Teufelskreis des Konsums sein? Der freigebige Schöpfergott würde sich wohl missverstanden fühlen. Ganz am Anfang seiner Geschichte mit den Menschen hat er ihnen ja die Gaben der Erde zum Geschenk gemacht und hat sie beauftragt, die Welt zu bebauen. Der Überfluss ist im Alten Testament eine Verheißung. Man muss nicht nach China oder Indien fahren, wo Millionen Ärmste in den letzten Jahren zu einem bescheidenen Wohlstand kamen. Auch Ostdeutsche haben erfahren, was Mangel ist und dass Überfluss eine Befreiung sein kann.
»Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen«, schreibt Paulus an Timotheus (1. Timotheus 6,8) – und es klingt wie die früheste Begründung des Prinzips der Nachhaltigkeit. »Denn die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung.« In einer Welt, die unter der Ausbeutung der Schöpfung ächzt, ist das sehr modern.
Erst wenn der Mensch den Brüchen seines Lebens ohne käuflichen Trost ins Angesicht sieht – erst dann kann er auch den wahren Wert der Dinge schätzen. Der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin warb für diese Freiheit gegenüber den Dingen: frei zu sein, ihnen die Bedeutung zu geben, die ihnen zukommt – nicht mehr. Und frei zu sein, mit ihnen freigebig und weitherzig umzugehen. So wie Gott es tut in seinem Überfluss. Das ist Erntedank.
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Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna