Ja, so ist das.
Wie ernüchternd. Keine Kerzen und keine Gebete standen am Anfang.
Wir entzaubern die "friedliche Revolution".
Wenn dann nicht mehr die Kirche und ihre offenen Räume, wenn nicht mehr Kerzen und Gebete diesen Aufstand trugen, sondern der Volkszorn, ist es wohl auch nicht mehr nötig, Gott für dieses Wunder in der Deutschen Geschichte, zu danken.
Doch da es mir so scheint, als ob Deutschland, als ob das, was uns die Einheit des Vaterlandes dankbar erleben ließ, ja als ob schon der Begriff Vaterland heute verpönt ist, ist auch diese Revolution nur eine andere Art der hässlichen Fratze, die dann auch heute wieder hier und da, auftaucht.
Gert Flessing
Die unfriedliche Revolution
Protest: Am Anfang des Revolutionsherbstes standen nicht Kerzen und Gebete – es flogen Steine. Befeuert von Gefühlen, die auch heute auf die Straßen drängen.
Da war der Deutschlandfunk-Moderator für einen Moment irritiert. Er hatte einen echten Pegida-Sympathisanten am Live-Telefon, der bei Montagsdemonstrationen mitlief und »Wir sind das Volk« rief. Da werde doch das Erbe der friedlichen Revolutionäre von 1989 missbraucht, sagte der Radiomann. »Wieso?«, erwiderte der Sachse. Er sei doch selbst einer von damals. Und gerade deshalb heute wieder unterwegs.
Plötzlich war einen Spalt breit der Blick frei auf die Rückseite des strahlenden Bildes von der Friedlichen Revolution. Die andere, gern verschwiegene Seite dieses auch von der Kirche aufgebauten Mythos. Es waren nicht nur Kerzen und Gebete damals. Es war auch Wut. »Hier sah es Anfang Oktober 1989 nicht aus wie auf einem Kirchentag, sondern wie in Kreuzberg am ersten Mai«, erinnert sich der Schriftsteller Peter Richter im Angesicht der Pegida-Demonstrationen an die revolutionären Tage in Dresden. Er sieht einen Zusammenhang. Auch damals glommen Gefühle, die sich entluden.
Zorn, Verzweiflung. Das Gefühl, nicht gehört zu werden von den Mächtigen. Nicht mitbestimmen zu können. Schon am 2. Oktober flogen in Leipzig nach einem Friedensgebet Pflastersteine aus den Reihen von tausenden Demonstranten auf Polizisten, wurden Scheiben zerschlagen, brannten Autos. Die Sicherheitskräfte schlugen mit Knüppeln und Wasserwerfern zurück.
Unklar ist, wer am Dresdner Hauptbahnhof den ersten Stein warf – Zeugen berichten auch von Provokateuren der Stasi. Sicher aber ist, dass nach dem 3. Oktober aus der bald mehrere Tausend zählenden Menge Pflastersteine und Flaschen auf die Polizeiketten flogen. Ausreisewillige hatten sich hier ursprünglich versammelt, um auf die Züge mit den Prager Botschaftsflüchtlingen nach Westdeutschland aufzuspringen.
»Ihr Schweine, lasst uns raus«, riefen junge Männer den aufmarschierenden Polizisten zu. Die räumten mit Knüppeln den Bahnhof und verhafteten brutal hunderte friedliche Protestierer und Zaungäste. In den Tagen darauf eskalierte die Lage. Prügelnde Polizisten hier, kleine Gruppen von Neonazis und Hooligans da. Ein in Flammen stehender Streifenwagen. 106 verletzte Polizisten und 46 verwundete Demonstranten zählten staatliche Stellen.
Eine protestantische Revolution, wie es nach 1990 oft hieß? »Die Kirchen waren keineswegs der Motor der Revolution«, sagt der Historiker Clemens Vollnhals, stellvertretender Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts. »Der enorme Ausreisewille so vieler Menschen mit der Wut und dem Mut der Verzweifelten war die eigentliche Sprengkraft – und das unverhältnismäßige Reagieren des Staates darauf.«
Bischöfe, Christen sowie Basisgruppen versuchten wenigstens ein Blutbad zu verhindern. Schon bei den ersten Steinwürfen in Leipzig riefen sie »Keine Gewalt«. Der Dresdner Superintendent Christof Ziemer fuhr noch in der ersten Nacht in den Dresdner Hauptbahnhof und predigte kurz danach: »Lasst uns der Versuchung zur Gewalt widerstehen.« Als in Plauen am 7. Oktober Wasserwerfer in die Menge von 10 000 Demonstranten fuhren und Steine auf Polizeiautos flogen, ergriff Superintendent Thomas Küttler das Wort für einen friedlichen Ausgang.
Er gelang, wie ein Wunder. Das SED-Regime fiel in sich zusammen. Und kurz darauf, noch im Herbst `89, wurden linke Demonstranten von Deutschlandfahnen-Trägern gejagt.
Der Mythos von der Friedlichen Revolution ist eine Geschichte aus Siegerperspektive. Er verdeckt, wie knapp die Sache war. Dass es nicht immer friedlich ausgehen muss. Und dass auch heute Wut und Verzweiflung schwelen bei jenen, die sich unterlegen fühlen.
"Ja, so ist das.
Wie ernüchternd. Keine Kerzen und keine Gebete standen am Anfang.
Wir entzaubern die "friedliche Revolution"."
Nein, Herr Flessing, "so ist das " nicht (gewesen) und auch schon gar nicht ernüchternd!
Es ist einfach nur ein schändlicher Versuch (halten wir Herrn Roth mal nur schlechte Infotätigkeit zu Gute?) das geschehen in linker Denkweise umzudeuten!
Was wärer aus der Sache geworden, wenn sich nicht viele Christen (damals sogar noch viele "KIrchenführer"!) eingebracht hätten, Dar wäre eine lange Kette, von Brüsewitz angefangen, über Brettschneider und viele andere zu nennen!
Ich bin erschüttert, wenn der Autor so leichtfertig vom "Mythos" der Friedlichen Revolution spricht.
Hier was "dazudichten" und an anderer Stelle etwas weglassen und schon entsteht ein neues Geschichtsbild. Hauptsache es erklärt unangenehme Erscheinungen und Vorfälle in der Landeshauptstadt.
Beispiel ist die Schilderung der Ereignisse am 07. Oktober 1989 in Plauen. Durch die verkürzte Darstellung der zeitlichen Abläufe und Verfälschung von Tatsachen entsteht genau das Bild, das der Autor für seine pauschale Beurteilung der Friedlichen Revolution benötigt. Dabei gibt es genügend Quellen, die eine solide Recherche ermöglichen. (z. B. Buch "Die Wende in Plauen" von Thomas Küttler; Film "40 Jahre sind genug" usw.)
Die Vorfälle in Dresden und Leipzig kann ich nicht beurteilen, in Plauen war ich allerdings mit Familie (2 Kinder) und Freunden Augenzeuge und habe Super 8 Filmaufnahmen gemacht, die man im Gegensatz zu den heutigen digitalen Aufnahmen schwer manipulieren kann.
Übrigens: Für den unglücklichen sinnlosen Wasserwerfereinsatz gegen Bürger und Familien (Am "Tunnel" fand gerade ein Kinderfest zum Tag der Republik statt) hatte sich die Feuerwehr noch am 08. Oktober 1989 entschuldigt! Der Wasserwerfereinsatzes war aber letzlich Auslöser des spontanen Demonstrationszuges mit 15-20000 Teilnehmern, der am Rathaus endete. Dort hätte es zur Eskalation kommen können, wenn nicht Superintendent Thomas Küttler Mut bewiesen hätte.
Es war damals mehr als emotional, als um 18.00 Uhr die Glocken geläutet haben (eigentlich normal), der Hubschrauber abzog und alle Frauen, Männer, Kinder friedlich nach Hause gegangen sind... Das war für mich die Friedliche Revolution!!!
Für mich als Christ gab es damals noch einen anderen Verbündeten.
Lieber Herr Roth, bitte recherchieren Sie für den nächsten Artikel genauer. Pauschalisieren und Weglassen führen leider oft zur Verfälschung der Geschichte und Vertiefen die Gräben in der Gesellschaft.
Detlev Braun
Plauen-Jößnitz/ Vogtland
Sehr geehrter Herr Braun,
vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Sie waren Augenzeuge, deshalb möchte ich zu Ihrer Kritik kurz zurückfragen - denn ich habe mich bei meiner Recherche auf die zweibändige Darstellung zur Friedlichen Revolution in Sachsen von Dr. Michael Richter gestützt, das als Standardwerk gilt. Ist es nicht korrekt, dass es am 7. Oktober 1989 sowohl zu den benannten Wasserwerfereinsätzen kam als auch Steine aus den Reihen der Demonstranten geworfen wurden? Dass es auch dank des Mutes von Superintendent Küttler einen friedlichen Ausgang nahm, habe ich geschrieben. Die Knappheit der Darstellung ist leider der Kürze eines Zeitungstextes geschuldet. Mein Anliegen war es, auch die andere Seite der - Gott sei Dank - Friedlichen Revolution zu beleuchten, die in der Öffentlichkeit oft vergessen wird: Dass auch damals schon auch bei einigen Gewalt und Wut ihr Handeln bestimmten - wie man es heute bei bestimmten Themen leider wieder beobachten kann. So ist der Mensch. Und um so größer und um so weniger selbstverständlich ist das Wunder der Friedlichen Revolution. Vielleicht können wir auch in den heutigen Debatten etwas davon lernen.
Sehr geehrter Herr Roth,
danke für die Rückantwort und die Erklärung zu den Quellen, auf die Sie sich gestützt haben.
Peter als auch Michael Richter sind bei uns (Rücksprache Kulturamt usw.) nicht bekannt und bei den zahlreichen Gedenkveranstaltungen der letzten Jahre auch nie in Erscheinung getreten.
Frank Richter, den ich sehr schätze, war vor 2 Jahren zur Gedenkveranstaltung.
Nach meinen Recherchen (Wikipedia) ist Dr. Peter Richter ein Schriftsteller, der im Oktober 89 erst 16 Jahre alt war. Als Schriftsteller hat er künstlerische Freiheiten und kann Personen und Ereignisse in seinem Kunstwerk in jeder Weise verändern. -Ein demokratisches Grundrecht, eine Forderung der friedlichen Revolution. Wenn er seine Meinung so äußert, muss man (ich) das aushalten, auch wenn einem das nicht passt.
Bei Dr. Michael Richter und seinen "Standardwerken", auf die Sie sich stützen, habe ich berechtigte Zweifel.
Wenn das stimmt, was Wikipedia veröffentlicht- Hilfe!
Er ist Historiker, ehemaliger IM. Seine Biografie wirft Fragen auf. Er wurde vom Hannah-Arendt-Institut 2010 fristlos entlassen, obwohl die Tätigkeit bereits 1994 bekannt war. Es müssen neue Fakten aufgetaucht sein. Seine Wiedereinstellung hat er erfolgreich eingeklagt- wir sind ein Rechtsstaat.
Ich habe am 02. Oktober anläßlich der Einheitsfeier in Dresden an den Ständen rund um die Kreuzkirche nach diesen beiden Personen gefragt. Die Reaktionen des Standpersonals kann ich erst jetzt dank Wikpedia einordnen.
Der "Sonntag" lag bei einem der Stände als kostenloses Exemplar aus.
Oben auf der Leitartikel "Die unfriedliche Revolution". Gut sichtbar für jeden Besucher. Ich habe mich geärgert, wie sich die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen nach außen darstellt. (der Artikel auf S. 3 wäre besser geeignet) Pressefreiheit ist aber eben auch ein demokratisches Grundrecht- deshalb muss ich das akzeptieren.
Über 100 Plauener Bürger haben am 07. Oktober wie jedes Jahr - von den Medien kaum beachtet- am Südportal der Lutherkirche im Gedenken, Bewahren und Dankbarkeit Kerzen angezündet.
Ich durfte dieses Jahr aus meiner persönlichen Erinnerung berichten.
("Wenn am 7. Oktober in Plauen Panzer gerollt wären, hätte es den 9. Oktober in Leipzig nicht gegeben"- Zitat eines Redakteurs der Frankenpost in der Freiheitshalle Hof 1994)
Wenn Sie an historischen Wahrheiten interessiert sind- schicke ich Ihnen gern eine Kurzchronik.
Oder Sie kommen zu uns nach Plauen, sehen sich das einzige Denkmal zur friedlichen Revolution in Deutschland an, besuchen historisch bedeutsame Stätten und lassen Sie sich durch fachkundige Bürger die Besonderheiten und Ereignisse erklären.
Aber bitte, nutzen Sie die Ereignisse in Plauen nicht zur Erklärung unliebsamer Erscheinungen am linken und rechten Rand der Gesellschaft.
Detlev Braun Plauen/Jößnitz Vogtland
Lieber Detlev Braun,
Danke für Deine Klarstellungen!
Ja, von einem Redateur einer "Kirchenzeitung" hätte man erwarten können, daß er vor dem "Loslassen" eines Artikels vernünftig informiert. Sie haben sehr schön aufgezeigt, wie er das hätte bewerkstelligen können!
Gut, daß es (uns) Zeitzeugen gibt! Wir müssen aber den Mund auftun, damit nicht unserere Kinder und Enkel auf solchen (bewußten?) Unsinn reinfallen!
Lieber Herr Roth, ist es wirklich die Knappheit eines Zeitungsartikels? Ist es nicht, vielleicht, auch der Wunsch, etwas, was oft glorifiziert wurde, ein wenig zu demontieren?
Der Tenor der Artikel im Sonntag, die sich mit der Frage der Wende befassen ist doch: Das Ziel wurde verfehlt.
Darauf weist auch Ihr Satz hin: "Und kurz darauf, noch im Herbst `89, wurden linke Demonstranten von Deutschlandfahnen-Trägern gejagt." "Deutschlandfahnenträger" - hat sich da vielleicht schon die neue Wut, die Pegida - Wut, gemeldet?
Es stimmt. Das, was damals war, war keine "linke" Revolution. Das mag mancher bedauern.
Aber auch jene, die schrien "Ihr Schweine, lasst uns raus" waren nicht an einem Sozialismus, mit welchem Antlitz auch immer, interessiert.
Das Volk, die Plebejer der DDR, hatten es einfach satt, sich mit Brosamen abspeisen zu lassen und in einem gewissen Helmut Kohl sahen sie dann, etwas später, ihren Volkstribun.
Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Aber so ist das nun einmal in der Geschichte.
Gut, als die Revolution begann, kam es auch zu einigen Gewaltausbrüchen. waren da auch Provokateure mit dabei?
Was, in meinen Augen, aber zählt, ist die Tatsache, dass dennoch nicht geschossen wurde. Was zählt, ist die geöffnete Nikolaikirche und die anderen Kirchen, die allen offen standen und in denen nicht gepöbelt, sondern gebetet wurde.
Was zählt sind die Männer der Kirche, ob Küttler oder Führer oder Ziemer, die mit ihrer Autorität halfen, den Frieden zu wahren.
Gut, so mancher war anschließend enttäuscht. Doch jede andere Lösung wäre wohl nicht weniger enttäuschend und bedauerlich gewesen.
Gert Flessing
Ja, es gab auch 1989 gewalttätige Demonstranten (wie bei den meisten Erhebungen). Aber den – verglichen mit dem 17. Juni 1953, dem Ungarnaufstand 1956 und anderen niedergeschlagenen Aufständen – unblutigen Umbruch im Herbst '89 „Die unfriedliche Revolution“ zu nennen, ist unzutreffend (erst recht die Verwendung des bestimmten Artikels „Die“!). Zum Glück holt sich der Artikel kurz vor dem Ende selbst wieder ein mit der Erinnerung an mutige Friedensstifter jener Tage. Und sollten die Kirchen „keineswegs der Motor der Revolution“ gewesen sein: Ein „Navi“ zur Gewaltfreiheit und Hüter der Hoffnung waren sie allemal. Und das ist kein „Mythos“. Was mich allerdings sehr irritiert: Es klingt stellenweise so, als ob damals und auch heute Verzweiflung Wut rechtfertige, und Wut Gewalt. Nein!
Sehr geehrter Herr Roth,
na herzlichen Glückwunsch! Endlich kommen die zu einem späten Sieg, die schon damals der Meinung waren, dass die, die da auf die Straße gingen, nur Nazis und Provokateure waren - prügelnde Polizisten, Neonazis und Hooligans. Und in Leipzig flogen aus den Reihen der Demonstranten Steine auf Polizisten, und die Sicherheitskräfte schlugen zurück... "Staatliche Quellen" vom Herbst 1989 zitieren Sie für die Opferzahlen in DD - unfassbar. Ein paar dieser "staatlichen Quellen" habe ich noch in meiner Sammlung drin - wissen Sie, was die damals alles geschrieben haben?! Ihnen gelingt es tatsächlich, schon im Herbst 1989 PEGIDA auf der Straße zu sehen - das "Neue Deutschland" hätte es damals kaum besser schreiben können. Und die Kirchen pflegen den Mythos der friedlichen Revolution, obwohl es doch so viel Wut gab... Und noch im Herbst 1989 wurden "linke Demonstranten" von "Deutschlandfahnenträgern" gejagt. "Siegerperspektive" - man kann es kaum glauben, was Sie alles auffahren.
All das spricht für sich - und leider gegen Sie. Seien Sie mir nicht gram - wer derart unangemessen austeilt, der muss dann eben auch einstecken können. Immer öfter bewahrheitet sich: Wenn man wissen will, was gewesen ist, sollte man in keine Zeitung schauen. Warum lese ich den Sonntag eigentlich noch?! Da muss ich wirklich mal drüber nachdenken.
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