Reformation und Rotstift
Umbruch: Was Sachsens Kirchenleitung beim Kürzen von Luther lernt – und wie die Landeskirche dabei zu ihren reformatorischen Wurzeln zurückkehren kann.Kurz vor Beginn des 500-Jahre-Reformation-Festjahres ist vielen Evangelischen gar nicht zum Feiern zumute. Besonders in Luthers Heimat. Allein Sachsens Landeskirche wird nach neuesten Prognosen in den näch-sten 25 Jahren um 42 Prozent an Mitgliedern und Personal schrumpfen. Und doch könnte etwas Paradoxes geschehen: Dass sie durch den Rückgang ihr reformatorisches Erbe neu entdeckt.
Die sächsische Kirchenleitung jedenfalls unternimmt diesen Versuch. Der Titel ihres am 17. Oktober beschlossenen Zukunftspapiers, das von einer elfköpfigen Arbeitsgruppe geschrieben wurde, verrät es: »Kirche mit Hoffnung in Sachsen«. Dabei werden die darin versammelten Zahlen vielen Christen eher das Gruseln lehren: In den nächsten zehn Jahren sollen sie ihre Gemeinden zu großen Strukturen mit über 4000 Mitgliedern, in Städten gar 6000 Mitgliedern bündeln. Personal wird ab 2019 massiv gekürzt. Lieb gewordene Angebote werden verloren gehen. Wo ist da Hoffnung?
Eine von Luthers umstürzenden Erkenntnissen war: Die Kirche schwebt nicht als mit allerlei Gesetzen festgezurrte, unveränderbare Instanz zwischen Gott und den Gläubigen – Kirche sind die um Jesus versammelten Glaubenden selbst. Entscheidend ist nach dem Augsburger Bekenntnis von 1530 allein, dass »das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente in Übereinstimmung mit dem Evangelium gereicht werden«. Kirchenstrukturen müssen dem dienen – in welcher Form oder Größe aber sie das am be-sten tun können, das steht frei.
Die sächsische Kirchenleitung nutzt in ihrem Zukunftspapier diese Freiheit. Und fordert mehr Gemeinschaft in der Landeskirche. Sie will größere Einheiten, mehr Zusammenarbeit auf allen Ebenen – und Solidarität der starken Stadtgemeinden mit ihren immer kleiner werdenden Schwestern auf dem Land. Doch auch für die Kirchenleitung hat die Freiheit, Kirche neu zu denken, Grenzen. Ein Abschied von gehobenen Gehältern, um mehr Mitarbeiter bezahlen zu können – und um eine Gemeinschaft der Gleichen auch in Gelddingen zu sein? Scheinbar undenkbar.
Einen anderen radikalen Gedanken Luthers aber greift das Zukunftspapier ganz direkt auf: »So werden wir alle durch die Taufe zu Priestern geweiht«, schrieb der Reformator 1520. In der Sprache der sächsischen Kirchenleitung: »Kirchgemeindeglieder gestalten aktiv das kirchliche Leben. Die hauptamtlichen Mitarbeiter beziehen ihren Dienst fördernd, gewinnend und begleitend auf das Ehrenamt.«
Zwar hatte Luther seinen radikalen Gedanken angesichts von noch radikaleren Reformern wie den Täufern, die das Gleichheitsprinzip in der Kirche rigoros umsetzen wollten, bald wieder abgeschwächt – schließlich hatte er auch die Obrigkeit und genug Geld im Rücken. Luthers heutige Erben indes könnte der Rückgang an Mitgliedern und Einnahmen dazu bringen, mit seinen Gedanken noch ernster zu machen als es die Reformatoren taten.
Auf seinem Grund kommt aber auch das Strukturpapier am Herz der Reformation an. An der Frage: Was ist, wenn wir versagen? Mit dem steten Rückgang an Gemeindegliedern sei für alle Mitarbeitende der Kirche »die unausweichliche Erfahrung der Vergeblichkeit des eigenen Bemühens eine prägende und oft auch belastende Erfahrung«, beklagt es. Die Folgen: Überforderung, Vereinzelung, Resignation. Luther hätte geantwortet: Du bist von Gott geliebt, allein aus Gnade. Nur fällt es auch Kirchenmenschen nicht immer leicht, das anzunehmen.
Das Kirchenleitungspapier sagt es so: »Ärmer und kleiner zu werden muss nach dem Zeugnis der Bibel keine Strafe sein, sondern kann eine Form der Nachfolge Christi sein, die in der Geschichte Gottes mit seinen Menschen zu allen Zeiten ihren Platz hatte.« Gerechtfertigt aus Gnade.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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