Wie viel Luther steckt in Marx?
Kapitalismus: Gerechtigkeit ist wieder ein großes Thema – und Karl Marx wird öfter zitiert. Dass der seine Kritik auf Luther stützte, ist kaum bekannt. Ihre Hoffnungen aber waren verschieden.
Karl Marx ist wieder da. Nicht nur im Kino. So laut wie lange nicht wird derzeit über Gerechtigkeit diskutiert. Und am vergangenen Sonntag klebte Gregor Gysi 95 Thesen »Wider die Herrschaft der Finanzmärkte« an die Deutsche Bank gegenüber der Wittenberger Schlosskirche – umrahmt von Luther-Liedern.
»Gott oder Mammon – du kannst nicht beiden dienen, hieß es zu Zeiten von Jesus und vor 500 Jahren«, heißt es in Gysis These Nummer zwei. »Demokratie oder Finanzmarkt-Kapitalismus – dies ist die Frage unserer Zeit.« Unter den über 330 Unterzeichnern der neuen Thesen sind neben Linken, Sozialdemokraten und Künstlern auch etliche Theologen wie Eugen Drewermann, die Berliner Pfarrerin und DDR-Bürgerrechtlerin Ruth Misselwitz oder der methodistische Crottendorfer Prediger Andreas Demmler.
Wäre es nicht Frevel, den Atheisten Marx neben Luther zu stellen nach allem, was Marx-Jünger den Jüngern Jesu angetan haben? Marx hätte die Frage wohl nicht verstanden. Er war Sohn einer protestantischen Familie und Enkel eines Rabbiners. Bibelfest und Luther-fest war er auch. Den Reformator lobte er als »ältesten deutschen Nationalökonom«. Auch auf ihn baute er seine Kapitalismuskritik auf. »Deutschlands revolutionäre Vergangenheit ist nämlich theoretisch, es ist die Reformation«, schrieb der junge Marx.
Er selbst sah sich als den »neuen Luther«, so der australische Marx-Forscher Roland Boer. Denn schon der Reformator hatte die zerstörerische Wucht des ungezügelten Kapitals erkannt. »Es ist mancher, der meinet, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat«, so legte Luther das erste Gebot in seinem Großen Katechismus aus. »Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißet Mammon.«
Luther ging den damals aufkommenden Kapitalismus mit seinen Handels- und Bankgesellschaften hart an: Deren Geschäfte nannte er Diebstahl. Luther sah ein Kapital, das sich verselbständigte und mit Zins und Profitmaximierung Reichtum anhäufte – und Ausbeutung. »Wer einem andern seine Nahrung aufsaugt, raubt und stiehlt, der tut eben so großen Mord als der einen Hungers sterben lässt«, schreibt er in einer seiner Schriften gegen den Wucher. Schon biblische Propheten wie Amos hatten das so gesehen.
Was Marx an Luther schätzte: Dass er hinter die Dinge sah, verborgene Zusammenhänge enthüllte. Enthüllung heißt im biblischen Griechisch Apokalypse – und in diesem Sinne waren Luther wie Marx Apokalyptiker, schreibt der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Abraham Rotstein. Apokalyptiker reden von Verderben – und von Hoffnung. Dies erst verleiht ihren Gedanken Kraft. Luther wie Marx sagen die Aufhebung aller menschlichen Herrschaft voraus. Doch geschieht dies bei Luther durch die Auferstehung des Gekreuzigten und das Gottesreich – bei Marx geschieht es durch die Revolution und Kommunismus. Dazwischen liegen Welten.
In Chemnitz thront der Marx-Kopf noch immer. Zum Lutherjubiläum will die evangelische Kirche im früheren Karl-Marx-Stadt den Revolutionär mit dem Reformator ins Gespräch bringen. »Denn die ökonomische Frage ist noch immer nicht zur Zufriedenheit geklärt«, sagt der Chemnitzer Pfarrer Stephan Brenner, der das Projekt »Luther & Marx« zusammen mit dem Theater, der Universität und dem Studentenpfarrer der Stadt organisiert. Es wird Vorträge geben und zum 1. Mai ein Volksfest an der Johanniskirche. Die Posaunenmission wird »Wem Gott will rechte Gunst erweisen« spielen. Und ein Schalmeienorchester, die marxistische Variante der Posaunen, dasselbe Lied. Nur ohne Gott.
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Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna