Komm, Heiliger Geist!
Pfingsten: Es gibt Momente, da fällt mir nichts mehr ein. Da spüre ich, dass alles, was ich denke und sagen könnte, zu kurz greift. Das betrifft ganz persönliche Erfahrungen wie auch gesellschaftliche Entwicklungen.In diesen Tagen summieren sich diese Erfahrungen. Die Nachrichten zeigen jeden Abend, wie der israelische Iron Dome palästinensische Kassam-Raketen abfängt. Was von Weitem aussieht wie Feuerwerk, bedeutet für viele Menschen Tod, Verletzung, Zerstörung. Die Kommentatoren haben zwar Erklärungsversuche und Positionen, aber weder sie noch Politiker oder Experten haben überzeugende Lösungsvorschläge. Ich habe mit dem jüdischen Landesrabbiner Zsolt Balla telefoniert. Er ist froh über die vielfältige Verbundenheit, die ihm derzeit signalisiert werde. Er wisse nicht, woher die antijüdische Stimmung gerade wirklich komme. Er könne verstehen, dass man sich kritisch mit der Politik Israels auseinandersetze, frage sich aber, was das mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland zu tun habe.In einem anderen Gespräch will mich jemand davon überzeugen, dass hinter der Corona-Pandemie die erklärte Absicht eines Zirkels des Bösen stehe, die Weltbevölkerung um zwei Milliarden Menschen zu reduzieren. Es sei alles genauso schlimm wie 1933. Auch damals habe keiner gemerkt, was für ein Unheil heraufzieht. Wie kann man diesen Vergleich ziehen, gerade jetzt?
Nach wie vor wird jeden Montag in Hörweite der Bischofskanzlei demonstriert. Am Anfang wird ein frommes Lied gesungen, danach werden hasserfüllte Reden gehalten. Ich bin fassungslos angesichts der Verbindung von Glauben und Hetze. Geht da nicht etwas furchtbar durcheinander?
Ich könnte die Liste meiner Momente der Sprachlosigkeit fortsetzen und damit noch deutlicher vor Augen führen, was wir gerade erleben: steigende Orientierungslosigkeit, zunehmende Identitätskonflikte und sich beschleunigender Vertrauensverlust. Ein argumentativer Zugriff will im Blick auf diese Herausforderungen einfach nicht gelingen. Wie ein Seufzer entfährt mir da die erste Strophe eines alten Pfingstliedes: »O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein. Verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein. Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an, dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.« Der Hauslehrer und spätere Pfarrer Philipp Spitta hat es ursprünglich für die Hausandacht geschrieben. Es ging ihm dabei um eine Veränderung, die er sich zuerst in der Familie vorstellte. Von dort aus sollte sie alles durchdringen und schließlich der ganzen Welt das Heil bringen, von unten nach oben, vom Kleinen zum Großen gewissermaßen.
Ich gestehe, dass ich nicht jede Strophe dieses Liedes von ganzem Herzen mitsingen kann. Die Sehnsucht des Lieddichters aber teile ich. Wie er sehne ich mich danach, in undurchsichtigen Situationen für Klarheit sorgen zu können, mit innerer Kraft und wirkungsvollen Worten die Wahrheit zu bezeugen. Ich nehme wahr, dass viele Menschen genau dies von der Kirche erwarten und sich wünschen, dass von ihr Hilfe und Orientierung ausgeht. Werden wir sie geben können? Ja, das werden wir!
Voraussetzung ist jedoch, dass wir nicht der Versuchung erliegen, es aus uns selbst heraus schaffen zu wollen. Es ist eben Gottes Geist, von dem Licht und Klarheit kommen – und nicht unser Verstand. Deshalb versuche ich mich mit guten Ratschlägen, moralischen Forderungen und wohlüberlegten Statements zurückzuhalten. Stattdessen möchte ich wachsam sein, ob sich der erhellende Gedanke, die Mut machende Kraft und das helfende Wort einstellen wollen. Das erfordert oft Geduld und gute Nerven. Im Gebet mit Gott Zwiesprache halten, andere Menschen um Rat bitten und sie einbeziehen, Erfahrungen und Zweifel ernst nehmen, eigene Überzeugungen prüfen – ich glaube, dass auch das notwendig ist, um sich über etwas klar zu werden. Oft dauert es, bis aus Trug Licht und aus Schein Klarheit wird. Ja, ich gebe es zu, manchmal habe ich keine schnelle Antwort. Für mich ist das nicht nur Ratlosigkeit. Es ist auch der Moment, in dem ich mich für das Wirken des Heiligen Geistes öffne und von ihm alles erwarte. Es ist der Moment, in dem es Pfingsten werden kann.
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