Endlich hoffen
Johannistag: Auf der Höhe des Jahres feiern die Christen das Leben in seiner Fülle – im Bewusstsein seiner Endlichkeit. Doch die Hoffnung gründet in einem größeren Horizont. Die Kunst ist, Wachsen und Begrenzung zusammenzudenken.»Das Jahr ist seiner Höhe nah!« könnte man frei nach Jochen Klepper singen. Und es schwingt darin viel Lust und Dankbarkeit mit. Wir erleben das noch so frische Grün in seinen unendlichen Variationen. Die ganze bunte Pracht der Flora entfaltet sich in den Gärten. Die Sonne scheint so lange wie nie, und die Abende bleiben hell. Es ist Zeit, zusammenzukommen, um das Leben zu feiern, einander zu genießen und Pläne zu schmieden. Das Jahr ist seiner Höhe nah! Und dann weht ein welkes Blatt in unsere Mitte oder ein Klingelzeichen ruft, eine Ahnung steigt auf. Und von Moment zu Moment verwandelt sich unsere Stimmung. »Fallen die Blätter der Rose/ Müde in das Gras/ Fallen des Sommers Lose/ Bunt und ohne Maß« – Wolf Biermanns wunderbare Zeilen deuten zart und fast unmerklich die Endlichkeit des Lebens an.
Der Johannistag, wie immer wir ihn feiern – eher folkloristisch mit fröhlichem Feuer oder besinnlich mit einem Gottesdienst auf dem Friedhof –, vereinigt in sich beide Aspekte unseres Daseins: das Werden und das Vergehen. Das kosmische Geschehen der Sonnenwende wird mit diesem Tag zum Symbol dafür. Es zeigt die naturgegebene Seite unserer Vergänglichkeit. Auf der anderen steht, was menschengemacht ist. Mehr noch als ein welkes Blatt erinnern die Nachrichten jeden Tages an die irdischen Todesursachen: Krieg und Gier, Hass und Gewalt.
Wie bleiben wir dem Leben verbunden angesichts seiner offenbaren Begrenztheit und Verletzlichkeit? Einfache Antworten sind rar. Wir müssen zuerst Sprache finden für unsere Vergänglichkeit. Wir sind sterblich, wir wissen es als einziges Lebewesen, aber wir sprechen nicht gern darüber. Ich möchte einen schwerkranken Freund besuchen. Unten am Fahrstuhl frage ich eine Frau nach der richtigen Etage. »Ach, ist der gestorben?« Ich weiß es nicht, aber ich merke, wie unangenehm ihr die Frage jetzt ist. Als könnte die geäußerte Vermutung das Sterben erwirken oder auch nur beschleunigen.
Aber so ist es nicht. Man kann ohne Angst über das Sterben reden, das noch aussteht, auch über das eigene. Das ist fundamental. Es ändert nicht, dass ich sterbe, aber vielleicht doch, wie ich sterbe. Echte Selbstbestimmung, wie sie öffentlich und kontrovers diskutiert wird, fängt genau da an. Und sie schließt ein, dass wir uns und vielleicht auch einander beizeiten die richtigen Fragen stellen: Was lasse ich an mich heran? Wo gerate ich an meine Grenzen? Wie verlässlich sind meine Beziehungen? Was trägt mich wirklich?
Wir brauchen freilich, um dem Leben verbunden zu bleiben, eine begründete Hoffnung dafür, wie es weitergeht. Johannes der Täufer, Namensgeber des Johannistages, gibt uns ein Beispiel. Als er von Jesus erfuhr, war er so ergriffen, dass es förmlich aus ihm herausplatzte: »Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.« (Joh. 3,30) Er spürt: Es gibt Hoffnung!
Es ist grundlegend, davon ausgehen zu dürfen, dass woran ich glaube und worauf ich vertraue, über meine Zeit und die Veränderungen in der Welt hinaus gilt.
Johannes nimmt sich zurück, damit hat er Zeichen gegeben – auch im Blick auf die notwendigen Debatten zwischen den Generationen und den Wandel der Zeit. Es wird anders werden. Vieles wird anders werden, wenn wir die heißen Themen des Lebens auf unserem Kontinent in den Blick nehmen. Wachsen ist nötig auf der einen, Abnehmen auf der anderen Seite! Eine neue Generation wird vielleicht andere Wege gehen als die vorangehende. Das ist der Rhythmus der Zukunft. Er muss uns nicht beunruhigen.
Wenn ich die Bilder des Kirchentags noch einmal in mir aufleben lasse, spüre ich sowohl die neuen Töne eines Aufbruchs auf der einen wie auch den verborgenen Schmerz des Abschieds auf der anderen Seite. Beides gehört dazu, um in den »Zeiten des abnehmenden Lichtes« (Eugen Ruge) entschlossen und zuversichtlich auf dem Weg zu bleiben.
Der Autor ist emeritierter Professor für Praktische Theologie. Er lebt in Leipzig.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Impressionen Frühjahrssynode 2024
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.