Das andere Clausnitz
Die Bilder von der Wut gegen Asylbewerber im erzgebirgischen Clausnitz kamen bis Norwegen - dort hofft der Pfarrer Michael Hoffmann auf ein anderes Clausnitz. Er kommt selbst aus der Gegend und weiß, was das Erzgebirge Flüchtlingen zu verdanken hat - und was es mit ihnen gewinnen kann.
Am Freitag vor den Winterferien wurde ich von Gemeindemitgliedern in Norwegen angesprochen: „Clausnitz, Rechenberg-Bienenmühle, ist das nicht da wo du herkommst? Was passiert dort eigentlich? Du hast doch nicht etwa vor, deine Kinder in den Ferien dort hin zu schicken?“ Am Montag haben die Ereignisse im Erzgebirge bereits das öffentlich-rechtliche norwegische Fernsehen erreicht.
Ja, ich komme von dort, nicht direkt aus Clausnitz, aber auch aus Rechenberg-Bienenmühle, das gemeinsam mit Clausnitz und Cämmerswalde zu einer Kirchgemeinde gehört. Es gibt sie immer noch, die Möglichkeiten für das andere Clausnitz. Viele der Dörfer um Clausnitz herum und vielleicht auch Clausnitz selbst würde es ohne Flüchtlinge gar nicht mehr geben. Im 17. Jahrhundert waren es tschechischsprachige Flüchtlinge, die den durch Pest und Krieg verwüsteten Dörfern im Erzgebirge zu neuem Leben verhalfen und sogar neue Dörfer gründeten.
Die erzgebirgische Weihnachtskultur lässt sich nicht nur auf die Bergleute, sondern auch auf diese Flüchtlinge zurückführen und würde es ohne diese so nicht geben. Zugezogene verändern die Kultur und verändern ein Dorf. Ich kann die Sorgen und Ängste vieler Erzgebirgler vor diesen Veränderungen verstehen. Ich kann verstehen, dass man nach den Ereignissen der Silvesternacht skeptisch gegenüber unverheirateten jungen Männern ist. Was ich nicht verstehen kann, ist das, was am Abend des 18. Februar dort geschehen ist: Die Flüchtlinge, die kamen sind Familien und junge Frauen.
Ich kenne das andere Clausnitz. Ich weiß von Menschen, die sich für die Flüchtlinge engagieren und im Heim helfen. Sie schreien nicht, sondern helfen still. Auch eine Demonstration für die Flüchtlinge hat es bereits gegeben. Doch davon schreiben die meisten Medien nichts. Ich möchte dem anderen Clausnitz Mut machen: Die Flüchtlinge sind keine Gefahr, sondern eine Möglichkeit: Die Bäckerei in Cämmerswalde steht leer und verfällt, vielleicht ist unter den Flüchtlingen ein Bäcker, der den alten Ofen mit etwas Hilfe wieder in Schwung bekommt?
Nicht alle Betriebe im Ort haben einen Nachfolger. Vielleicht gibt es unter den Flüchtlingen tüchtige Handwerker oder Freiberufler, wie Ärzte, die der Landflucht entgegenwirken können? Vielleicht ist der Junge, der von Polizisten aus dem Bus gezerrt wurde, der dringend gesuchte tüchtige Lehrling des Handwerksmeisters nebenan? Die Flüchtlinge haben bereits einen langen Weg hinter sich gebracht. Warum sollten sie nicht auch noch den Rest des Weges, die Integration in Deutschland, bewältigen? Auch wenn nicht jeder sie mit offenen Armen empfangen kann, jeder kann und sollte eine helfende Hand dazu reichen.
Die Ereignisse vom 18. Februar sind ungeheuerlich, erschrecken mich und machen mir Angst. Doch noch immer glaube ich die Erzgebirgler zu kennen. Sie sind ein störrisches Volk und tun sich schwer mit Veränderungen. Doch wen sie einmal akzeptiert und ins Herz geschlossen haben, für den stehen sie ein. Ich bitte sie alle und besonders meine ehemaligen Nachbarn, meine Bekannten, Schulkameraden und Freunde: Nehmt die Flüchtlinge an! Seht sie als Möglichkeit, nicht als Bedrohung! Steht für sie ein! Ihr Aufenthaltsstatus ist, nach allem was ich weiß, nicht geklärt. Sie sind noch unsicherer als ihr. Sie wissen auch jetzt noch nicht, wie es für sie weitergeht. Vielleicht kommt morgen schon wieder ein Bus, um sie wieder weg- und in eine ungewisse Zukunft zu bringen. Sollte dies geschehen, dann hoffe ich, dass die Medien von einer Menschenkette berichten, die sich dagegen wehrt, dass jemand „unsere Flüchtlinge“ holen will. Es scheint im Moment unsichtbar zu sein, doch es gibt es, das andere Clausnitz.
Der in Sachsen geborene Theologe Michael Hoffmann ist in der lutherischen Kirche Norwegens zuständig für die überregionale Arbeit mit gehörlosen Menschen.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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