Unter der Decke
Weil es auch Partnerschaften außerhalb der Ehe bejahte, flog der EKD ihr Familienpapier um die Ohren – eine Schrift zur Sexualethik hält sie deshalb lieber unter der Decke.
Es muss wie das Gefühl gewesen sein, eine tickende Bombe zu entschärfen. Als der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Ende Januar die Arbeit an einem Papier zur Sexualethik stoppte, war den Kirchenleitern noch der Nachhall ihrer Familieschrift in Erinnerung: Sie war ihnen um die Ohren geflogen.
Die offizielle Begründung für die vorläufige Beerdigung des Papiers: Angesichts des Reformationsjubiläums fehle dem Rat bis zum Ende seiner Amtszeit 2015 die Zeit für eine seriöse Diskussion, man wolle zunächst die Schrift der EKD-Kammer für Theologie zu Ehe und Familie abwarten. Im Kern aber geht es darum: »Die Meinungen im Rat gingen auseinander, so dass im Moment kein Konsens in Reichweite schien«, sagt der stellvertretende Ratsvorsitzende und sächsische Landesbischof Jochen Bohl. »Wie es weitergeht, wird zu beraten sein. Einen terminlichen Rahmen gibt es dafür noch nicht.«
Als die Kommission zur Sexualethik im Juni 2010 vom EKD-Rat gegründet wurde, schien die See noch still. Berufen wurden Fachleute für Theologie, Geschlechterforschung, Sexualpädagogik und sexuelle Gewalt. Für die Leitung fragte man den Erlanger Theologieprofessor Peter Dabrock, immerhin stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.
Doch das war vor der Diskussion um gleichgeschlechtlich Liebende in Pfarrhäusern, die etwa die sächsische Landeskirche vor eine Zerreißprobe stellt. Es war vor der Aufregung Evangelikaler und Konservativer um den baden-württembergischen Bildungsplan mit seiner Offenheit für sexuelle Vielfalt. Es war vor dem Eklat um das EKD-Familienpapier. Erst jetzt wurden die Fronten sichtbar.
14 Mal tagte die Kommission, der von ihr erarbeitete Entwurf ist über 150 Seiten stark. Alles für die Tonne? Peter Dabrock will keine Inhalte daraus preisgeben. Ein Punkt aber ist ihm wichtig: »Es kann nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, für die sie nichts können, diskriminiert werden«, sagt der Theologieprofessor. »Um der Wahrheit des Evangeliums willen muss die Kirche da auch einen Riss riskieren – egal, wie laut sich manche Gruppen innerhalb der evangelischen Kirche dagegen wehren.«
Der Erlanger Theologe verweist auf den weitreichenden Konsens in der Wissenschaft, wonach die sexuelle Orientierung ein unverrückbarer Bestandteil der Person ist und keine Handlung, die man moralisch gut oder schlecht finden kann – die Bibel indes habe diesen Unterschied nicht gekannt. »Die Beurteilung der Praxis orientiert sich primär am Liebesgebot.« Genau aus diesem Grund kommt Peter Dabrock auch in seiner Bewertung der Ehe zu einem differenzierten Urteil: »Eine wunderbar geführte Ehe ist ein Schutzraum für die Liebe«, sagt er. »Doch Sexualität kann auch außerhalb der Ehe verantwortlich gelebt werden, nämlich als Ausdruck von liebender Verlässlichkeit, Treue und Verlangen nach dem anderen.« Solche Äußerungen können Sprengstoff sein in der evangelischen Kirche.
Wahrscheinlich fürchtete die EKD schon vorab eine gewisse theologische Schlagseite, als sie den Stuttgarter Prälaten Ulrich Mack in die Kommission nachberief. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Ehe als von Gott eingesetzt und nicht zu relativieren ansieht. Doch Mack schied aus der Kommission wieder aus – offenbar hielt diese schon intern der Spannung nicht stand, in der die gesamte EKD steht.
Bleibt mehr als ein Stapel Papier in der Ablage? Ein neuer Rat der EKD wird sich erst nach 2015 zusammenfinden, danach wird das Reformationsjubiläum 2017 wahrscheinlich alle Kräfte binden. Das Konfliktpotential um die Sexualethik aber brennt vielen Protestanten schon heute auf der Seele. Ob die Bombe wirklich entschärft ist?
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