Leid mit Neid

Willkommenskultur: Tausende Ehrenamtliche helfen Flüchtlingen, Milliarden Euro fließen für sie – auch in der Kirche fühlen sich manche davon benachteiligt. Ist das wirklich so?
Andreas Roth
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© Ingram

Eine Taufe wurde ihr schon abgesagt. Und Ehrenämter hingeworfen. Jedes Mal hörte Pfarrerin Ines Schmidt aus Dölzig bei Leipzig dieselbe Begründung: »Die Kirche kümmert sich doch mehr um Moslems und nicht so sehr um die eigenen Gemeindeglieder.« Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber, für die sich auch einzelne Christen engagierten, ließ in dem nordsächsischen Dorf die Wogen hoch schlagen.

»Hinter diesen Reaktionen steht die Erfahrung, dass Pfarrstellen zusammengelegt und auch andere kirchliche Mitarbeiterstellen gekürzt werden«, sagt Ines Schmidt. »Das sind Ängste und zum Teil auch mangelndes Wissen.« Was aber sind die Fakten?

Die Landeskirche plant derzeit die nächste Strukturreform mit Kürzungen von Personalstellen. Schon seit Jahren spricht sie von einem strukturellen Defizit in Millionenhöhe – zugleich aber sprudeln die Steuereinnahmen jedes Jahr noch üppiger als erwartet. Auch vor diesem Hintergrund hat sie in diesem Jahr über 440 000 Euro für die Flüchtlingsarbeit zur Verfügung gestellt. Die Synode gab sogar grünes Licht für einen Nachschlag von 100 000 Euro, wenn nötig.

Die allermeiste Hilfe für geflüchtete Menschen in den Kirchgemeinden aber geschieht ohnehin ehrenamtlich. Viele der Helfer engagieren sich zum ersten Mal. Doch ist aus Gemeinden auch zu hören, dass es für die öffentlich hoch im Kurs stehende Flüchtlingsarbeit sehr viele Interessenten gebe – andere Arbeitszweige wie etwa Besuchsdienste oder soziale Projekte dagegen nur sehr schwer Unterstützer fänden.

Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) sah angesichts von Milliardenausgaben für Flüchtlinge bereits den sozialen Frieden in Gefahr und forderte ein »Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung« mit Mehrausgaben für den sozialen Wohnungsbau, Kindergartenplätze und kleine Renten. Gibt es tatsächlich einen Konkurrenzkampf der Not Leidenden?

Zu der »Brotkorb« genannten Lebensmittelausgabe der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Zschopau kommen jede Woche rund 250 Menschen – bis zu 50 von ihnen sind mittlerweile Asylbewerber. »Da kommt schon bei einigen der Gedanke auf, dass es wegen der Flüchtlinge nicht mehr für alle reichen könnte«, sagt Pfarrer Johannes Roscher, der Leiter der Initiative. »Man muss in der Tat teilen. Aber das wollen nicht alle.« Weil das Lebensmittelangebot begrenzt ist, wählen die Mitarbeiter jetzt genau aus, wer einen Ausweis für die Ausgabe bekommt. Kriterien seien allein die persönliche Situation und Notlage der Hilfesuchenden – egal ob Flüchtling oder Erzgebirger, sagt Johannes Roscher. Von einer Konkurrenz um Hilfsangebote, Jobs oder die in seiner Region reichlich vorhandenen Wohnungen will der Pfarrer nicht sprechen. EU-Fördermittel für die Qualifizierung von Arbeitslosen in der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative sind auf die Einheimischen beschränkt, dafür gibt es für die Arbeit mit Flüchtlingen auch in Zschopau vom Staat zusätzliches Geld. »Diese Mittel wären sonst nicht ausgegeben worden«, sagt Roscher.

Auf über 20 Milliarden Euro pro Jahr schätzen die Finanzminister von Bund und Ländern sowie Wirtschaftsforschungsinstitute die Kosten für Versorgung und Unterbring der Asylbewerber. Das gehe nicht zu Lasten anderer Arbeitsbereiche, versichert für Leipzig David Quosdorf aus der Stadtverwaltung. Denn Bund und Land zahlen aus gut gefüllten Steuerkassen die meisten Mehrkosten.

Doch wenn etwa der Vogtlandkreis 23 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren bei Kultur, Sport und Musikschulen kürzen muss zur Haushaltssicherung, sei das »schwierig zu vermitteln«, gibt Kreissprecherin Kerstin Büttner zu. Nächstenliebe bekommt dann plötzlich ein Preisschild.

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4 Lesermeinungen zu Leid mit Neid
Gert Flessing schreibt:
14. September 2016, 21:58

Die Nächstenliebe bekommt ein Preisschild? Ist das so?
"Tut Gutes an Jedermann, zunächst aber an des Glaubens Genossen." so hat es Paulus den Galatern geschrieben.
Der Unmut bei den Menschen in unseren Gemeinden, vor allem bei denen, die selbst voller Probleme sind, ist da.
Auf der einen Seite gibt es Kürzungen, werden Hilfen gestrichen, werden Förderungen für Jugendtreffs eingestellt, werden Zuschüsse für Kultur gekürzt, gestrichen.
Auf der anderen Seite ist Geld da, für, ja wofür denn?
Es ist kaum mehr mit anzusehen, wie langsam die Bearbeitung von Anträgen auf Bleiberecht abgearbeitet werden.
Es ist kaum zu vermitteln, warum Menschen, die kein Bleiberecht erhalten, nicht abgeschoben werden und warum es Vereine gibt, die denen, die ihre Abschiebung nicht wollen, Ratschläge geben, wie sie das umgehen können, wie sie es schaffen, gegen das Gesetz zu verstoßen, ohne bestraft zu werden.
Und die Frage taucht auf, ob dieser "Flüchtlingsrat" nicht auch staatliche Gelder erhält.
Staatliche Gelder aber sind Steuergelder.
Das gilt auch für die Gelder, die von der Kirche ausgegeben werden.
Nächstenliebe hat kein Preisschild, denn die Hilfe für Flüchtlinge und auch für andere Menschen in Not läuft weiter. Oft unter hohem persönlichem Einsatz.
Aber am Ende stehen immer finanzielle Fragen im Raum.
Sie sind da und sie sind, nüchtern und vernünftig zu besprechen, nicht mit anklagender Emotion, wie sie in obigem Satz zu spüren ist.
Gert Flessing

Thomas aus Leipzig schreibt:
14. September 2016, 23:14

" »Das sind Ängste und zum Teil auch mangelndes Wissen.«"
Was ist denn da bitte mangelndes Wissen?
Wir denken jetzt einmal ganz positiv. Im letzten Jahr kamen 1,0 Mio. Menschen hier an. Eine Grüne war freudig erregt und redete von Menschen, die uns geschenkt wurden. Weil sie ja leider keine Ausbildung abschloß, kannte sie auch nicht die alten Weisheiten. Hier paßt dann, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!
Aber weiter positiv, das sind nun alles Vier-Personen-Familien. Wir brauchen von Jetzt auf Gleich 250.000 neue Wohnungen. Wer baut die, wo werden die gebaut und wie schnell können die gebaut werden.
Wie kleinlich, wir haben doch Geld im Überfluß! Kinder- und Altersarmut sind doch bößwillige Behauptungen vom Klassenfeind!
Und dann hat ja die Hamburger Pastorentochter erklärt, wenn der Krieg vorbei ist, dann gehen die alle wieder zurück. Wir haben dann sofort 250.000 leerstehende Wohnungen. Welch wirtschaftlicher Unsinn!
Eines ist sicher, von Wirtschaft haben die da oben keinen blassen Schimmer, sie sind daher unwählbar. Sind die mal weg, dann haben Gemeinden auch wieder Geld für sich selber.
Herzlichst aus Leipzig
Thomas

Leserin schreibt:
17. September 2016, 11:12

Die Argumentation im Artikel ärgert mich. ich persönlich habe keinen Futterneid wg. materieller Ressourcen, sondern wegen der ideellen. Ich empfinde in unserer Kirche keinen Platz mehr für Menschen, die neg. Erfahrungen gemacht haben, daraus aber keine demokratie- oder fremdenfeindlichen Schlüsse ziehen. Was geschieht denn mit denen?
a) Sie werden mangelnder Feindesliebe, Verallgemeinerung oder gar Mitgliedschaft in populistischen Zusammenschlüssen bezichtigt (es gibt auch die wohlwollend-sozialpädagogische Variante a la "erzähl mal von deinen Kindheitserfahrungen").
b) Sie versuchen, diese Themen auf Bürgerversammlungen anzubringen, müssen aber feststellen, dass dort Populisten ungewöhnlich viel Raum bekommen und der Rest rhetorisch hinten runter fällt.
c) Sie werden zur Beichte geschickt, weil sie die Vorkommnisse, über die sie so entsetzt sind, nicht verhindert haben wg. mangelnder Zivilcourage. (Aber nicht jeder ist Polizist, Soldat oder Psychiater!)
d) Es gibt keine Kapazitäten, da man sich um die Populisten kümmern muss.
Nicht die Bürger sind polarisiert, sondern die Strukturen! Wer, wenn nicht die Kirche, ist für Trauerrituale zuständig? Und ich möchte mir ausgerechnet von der Kirche die Trauer nicht verbieten lassen, wenn bspw. nahe meiner ehem. Heimatstadt ein Ehrenmord geschieht, mir Hauptamtler erzählen, wie die Familien ihrer Klientel von der Al-Shabab-Miliz abgemetzelt wurden oder wie "Schweinefresser" im Heim drangsaliert werden. Die Taten sind entsetzlich, Und dass die Mehrheit anders ist, macht diese kein bisschen weniger entsetzlich. Es wäre so. als würde einer vergewaltigten Frau automatisch Männerhass unterstellt werden, weil die Mehrheit eben nicht so ist. Kirche, gib mir Platz zum Trauern!

Gert Flessing schreibt:
19. September 2016, 11:28

Da die meiste Hilfe in den Gemeinden, nicht nur für Flüchtlinge, ehrenamtlich geschieht, wo sind denn die 400.000,- € hingeflossen?
Das sollte wirklich einmal, ganz unaufgeregt und nüchtern, erklärt werden.
Nun ist die Kirche eine Gemeinschaft von Menschen für Menschen.
Dabei sollten sich Kirchen von anderen Organisationen schon unterscheiden, denn sie sind eine Gemeinschaft, die von Gott aus der engen Bindung an das irdische Wesen und Unwesen herausgerufen wurde. (Siehe Wochenspruch)
Natürlich ist da Raum für Trauer, auch für die Trauer, die aus dem Mitleiden mit anderen erwächst.
Auch ich bin der Meinung, dass wir noch Potential haben, was den Einsatz für Christen anbelangt, die sich hierher, zu uns geflüchtet haben und nun wieder von denen bedroht werden, vor denen sie Schutz suchten.
Gert Flessing

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