Leid mit Neid
Willkommenskultur: Tausende Ehrenamtliche helfen Flüchtlingen, Milliarden Euro fließen für sie – auch in der Kirche fühlen sich manche davon benachteiligt. Ist das wirklich so?
Eine Taufe wurde ihr schon abgesagt. Und Ehrenämter hingeworfen. Jedes Mal hörte Pfarrerin Ines Schmidt aus Dölzig bei Leipzig dieselbe Begründung: »Die Kirche kümmert sich doch mehr um Moslems und nicht so sehr um die eigenen Gemeindeglieder.« Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber, für die sich auch einzelne Christen engagierten, ließ in dem nordsächsischen Dorf die Wogen hoch schlagen.
»Hinter diesen Reaktionen steht die Erfahrung, dass Pfarrstellen zusammengelegt und auch andere kirchliche Mitarbeiterstellen gekürzt werden«, sagt Ines Schmidt. »Das sind Ängste und zum Teil auch mangelndes Wissen.« Was aber sind die Fakten?
Die Landeskirche plant derzeit die nächste Strukturreform mit Kürzungen von Personalstellen. Schon seit Jahren spricht sie von einem strukturellen Defizit in Millionenhöhe – zugleich aber sprudeln die Steuereinnahmen jedes Jahr noch üppiger als erwartet. Auch vor diesem Hintergrund hat sie in diesem Jahr über 440 000 Euro für die Flüchtlingsarbeit zur Verfügung gestellt. Die Synode gab sogar grünes Licht für einen Nachschlag von 100 000 Euro, wenn nötig.
Die allermeiste Hilfe für geflüchtete Menschen in den Kirchgemeinden aber geschieht ohnehin ehrenamtlich. Viele der Helfer engagieren sich zum ersten Mal. Doch ist aus Gemeinden auch zu hören, dass es für die öffentlich hoch im Kurs stehende Flüchtlingsarbeit sehr viele Interessenten gebe – andere Arbeitszweige wie etwa Besuchsdienste oder soziale Projekte dagegen nur sehr schwer Unterstützer fänden.
Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) sah angesichts von Milliardenausgaben für Flüchtlinge bereits den sozialen Frieden in Gefahr und forderte ein »Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung« mit Mehrausgaben für den sozialen Wohnungsbau, Kindergartenplätze und kleine Renten. Gibt es tatsächlich einen Konkurrenzkampf der Not Leidenden?
Zu der »Brotkorb« genannten Lebensmittelausgabe der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Zschopau kommen jede Woche rund 250 Menschen – bis zu 50 von ihnen sind mittlerweile Asylbewerber. »Da kommt schon bei einigen der Gedanke auf, dass es wegen der Flüchtlinge nicht mehr für alle reichen könnte«, sagt Pfarrer Johannes Roscher, der Leiter der Initiative. »Man muss in der Tat teilen. Aber das wollen nicht alle.« Weil das Lebensmittelangebot begrenzt ist, wählen die Mitarbeiter jetzt genau aus, wer einen Ausweis für die Ausgabe bekommt. Kriterien seien allein die persönliche Situation und Notlage der Hilfesuchenden – egal ob Flüchtling oder Erzgebirger, sagt Johannes Roscher. Von einer Konkurrenz um Hilfsangebote, Jobs oder die in seiner Region reichlich vorhandenen Wohnungen will der Pfarrer nicht sprechen. EU-Fördermittel für die Qualifizierung von Arbeitslosen in der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative sind auf die Einheimischen beschränkt, dafür gibt es für die Arbeit mit Flüchtlingen auch in Zschopau vom Staat zusätzliches Geld. »Diese Mittel wären sonst nicht ausgegeben worden«, sagt Roscher.
Auf über 20 Milliarden Euro pro Jahr schätzen die Finanzminister von Bund und Ländern sowie Wirtschaftsforschungsinstitute die Kosten für Versorgung und Unterbring der Asylbewerber. Das gehe nicht zu Lasten anderer Arbeitsbereiche, versichert für Leipzig David Quosdorf aus der Stadtverwaltung. Denn Bund und Land zahlen aus gut gefüllten Steuerkassen die meisten Mehrkosten.
Doch wenn etwa der Vogtlandkreis 23 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren bei Kultur, Sport und Musikschulen kürzen muss zur Haushaltssicherung, sei das »schwierig zu vermitteln«, gibt Kreissprecherin Kerstin Büttner zu. Nächstenliebe bekommt dann plötzlich ein Preisschild.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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