7500 Kilometer zu Luther
Reformation: Mancher in Deutschland hat vom Luther-Trubel die Nase voll – doch indische Christen wie Bischof Jeyakumar reisen um die halbe Welt für den Reformator. Weil sie ihm viel verdanken.Da ist dieser Moment, als Edwin Jeyakumar die Tür der Wittenberger Schlosskirche berührt. In seinen Worten klingt es, als wäre es ein Heimkommen. 7500 Kilometer musste der tamilische Bischof aus Südindien dafür fliegen. Doch die eigentliche Entfernung bekommt er erst in der Heimatstadt des Reformators zu spüren. »Wittenberg ist eine Luther-Stadt«, sagt er, »aber keine lutherische Stadt mehr«.
Nur 15 Prozent der Wittenberger sind heute noch Lutheraner, in Sachsen sieht es ähnlich aus. Und selbst unter Protestanten macht sich ein gewisser Überdruss am Luther-Jubiläum breit. Aus seiner Tamilischen Evangelisch-Lutherischen Kirche weiß Bischof Jeyakumar Anderes zu berichten: Von einem ganzen Festjahr in vielen der insgesamt 126 Gemeinden mit 120 000 Christen. Von 500 Luther-Bäumen, die vor Kirchen und evangelischen Schulen gepflanzt werden sollen.
Und von einem Luther-Quiz zum Leben des Reformators in einer Gemeinde, an dem der Bischof erst kurz zuvor teilgenommen hat. »Ich habe einen kleinen Zweifel, ob die Menschen in Deutschland mehr über Luther wissen als die Inder«, sagt der Bischof in gutem Deutsch. Seinen Sohn hat er übrigens auch Martin Luther genannt.
Edwin Jeyakumar kommt nach Wittenberg und Leipzig wie einer, der zu seinen Großeltern kommt. Der Sachse Bartholomäus Ziegenbalg hatte den lutherischen Glauben 1706 nach Indien gebracht. Und das Leipziger Missionswerk unterstützt die indischen Lutheraner bis heute. Doch wenn der tamilische Bischof durch den kaum noch christlichen Osten Deutschlands fährt, erblickt er noch eine andere Seite der Reformation. »Sie gab uns auch eine große Gefahr: Die Freiheit, die Luther uns gezeigt hat, benutzen viele Menschen für persönliche Interessen.« Und die haben mit der Kirche oft nichts mehr zu tun.
Dabei wissen wohl nur wenige die Wucht der Befreiung durch Luthers Botschaft so gut zu schätzen wie Inder. 90 Prozent der Jungen und Mädchen in den 130 lutherischen Schulen der Tamilischen Kirche sind Hindus: vor allem Dalits, »Unberührbare«, die meist von jeder Bildung ausgeschlossen sind und in bitterer Armut leben müssen. »Wir Lutheraner haben die Erweckung von Luther, dass Bildung sehr wichtig ist«, erklärt der Bischof. Seine Eltern waren beide Lehrer an einer lutherischen Schule, sein Vater war Hindu und ließ sich taufen. Schon der Sachse Ziegenbalg hatte die eine erste Mädchenschule gegründet.
Doch die lutherischen Bildungseinrichtungen nutzt der indische Staat heute als Hebel, um Druck auf die Christen auszuüben. Mit immer neuen Vorschriften versuche er sie zurückzudrängen, sagt der Bischof. »Die Hindu-Regierung ermutigt Nationalisten, viel gegen Christen und Muslime zu machen.« Anders als in anderen indischen Bundesstaaten hätten Christen seiner Kirche bisher noch nicht unter Pogromen und Gewalt der Hindu-Nationalisten leiden müssen. »Aber sie machen uns Angst durch Worte und über Medien.« Auch in dieses Klima fällt das Reformationsjubiläum in Indien. Und ist damit alles andere als eine kirchliche Image-Kampagne.
Doch bei aller Liebe zu Luther: »Für mich ist Jesus Christus der eigentliche Reformator der Welt«, sagt Edwin Jeyakumar. »Wir sollen unsere Reformation im Innern anfangen, dann an unsere Familien weitergeben und dann an die Gesellschaft, damit etwas Neues entsteht.«
Bischof Jeyakumar hat schon etwas Neues begonnen. Mit Spenden seiner Familie und von Freunden baut er in seinem winzigen Heimatdorf eine neue Kirche. Mit Turm und einem Luthergarten. Sie liegt genau an einem Pilgerweg für katholische Christen. Die will Bischof Jeyakumar einladen in den Luthergarten, um zusammen Tee zu trinken. Oder Kaffee.