Barmherzigkeit reicht nicht
Sozial: Der Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel schlug hohe Wellen – Barmherzigkeit wird gefordert. Doch manchmal lenkt das ab von der eigentlichen Frage: nach Gerechtigkeit.
Auerbach ist nicht Essen, aber die großen Fragen der Armut kennt man auch hier. Rund 60 Haushalte versorgen sich jeden Freitag beim »Brotkorb« im Haus der Diakonie mit Lebensmitteln. Viele Alleinerziehende und in den letzten Jahren auch immer mehr Rentner und Migranten. Es reiche meist für alle, sagt Kirchenbezirkssozialarbeiter Detlef Köhler.
Als die Essener Tafel vor Wochen einen Aufnahmestopp für Ausländer verhängte und dies mit der Verdrängung deutscher Bedürftiger begründete, war die Aufregung groß. In den fünf Ausgabestellen des vogtländischen »Brotkorbes«, der von Gemeinden des Kirchenbezirkes Auerbach, örtlichen Firmen und über 70 Ehrenamtlichen gefüllt wird, gebe es kleinere Verteilungskämpfe auch unter Einheimischen, sagt Sozialarbeiter Köhler. »Aber statt über die Tafeln sollte über Gerechtigkeit diskutiert werden – und das müsste ganz woanders ansetzen.« Denn die Erregung über die Entscheidung der Essener Tafel stellte meist nur die Frage nach der Verteilung barmherziger Brosamen – aber nicht nach der Wurzel des Übels: Warum sind überhaupt Menschen in Deutschland auf Lebensmittelspenden angewiesen?
»In einer biblischen Perspektive sind Barmherzigkeit und Gerechtigkeit nicht zu trennen«, sagt der Ethik-Professor Ulf Liedke von der Evangelischen Hochschule Dresden. Gott steht nicht nur beim Propheten Jeremia für Barmherzigkeit ebenso wie für Gerechtigkeit auf Erden. »Doch in unserer kirchlichen Alltagssprache haben wir ein leichtes Übergewicht der Barmherzigkeit, während gegenüber der Gerechtigkeit eine gewisse Zurückhaltung zu bemerken ist«, stellt der Theologe fest. »Die große Stärke der Barmherzigkeit ist, dass sie sensibel ist für die Not anderer und sich berühren lässt. Doch der Andere ist dabei nur der Empfangende ohne Anspruch auf Hilfe – und es werden leicht Strukturen übersehen, die verändert werden müssen«, meint Liedke. Diese Gefahr liegt auch in helfenden Angeboten wie den Tafeln. »Die Stärke der Gerechtigkeit wiederum ist, dass jeder einen Anspruch auf sie hat«, sagt der Dresdner Professor, »nur kann die Beziehung zum konkreten Menschen darüber leicht vergessen werden«. Eine eigene Interpretation dieses Begriffes hat der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgelegt mit seiner Äußerung, Hartz IV biete jedem das, »was er zum Leben braucht«.
Im »Brotkorb« der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Zschopau (KEZ) nimmt trotzdem die Nachfrage zu. Rund 600 Menschen ernähren sich jede Woche auch aus ihm, gut jeder Dritte von ihnen ein Ausländer. Mitunter können einen Monat lang keine neuen Kundenausweise ausgegeben werden, weil es zu wenige Lebensmittel gibt – und zu viele Bedürftige. Unter ihnen sind immer mehr Rentner und Menschen mit Mini-Löhnen. »Mit Hartz IV können sich Menschen, die gut rechnen, gerade so ernähren«, sagt KEZ-Leiter Pfarrer Johannes Roscher. »Aber sie bleiben ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben. Kultur, Eis für die Kinder, Kino – das geht dann alles nicht.«
Die Diakonie fordert deshalb um bis zu 150 Euro höhere Hartz-IV-Regelsätze, einen ausreichenden Mindestlohn und mehr Unterstützung für Alleinerziehende. Dafür müssten Reiche etwas mehr abgeben. Doch weil die Frage nach Gerechtigkeit nur leise gestellt wird und die Barmherzigkeit der Tafeln an ihre Grenzen kommt, suchen sich die Armen ihre eigenen Schuldigen. Ausländer seien dann auch für manche »Brotkorb«-Kunden Sündenböcke, berichtet KEZ-Leiter Roscher.
»Wir als Kirche sind nicht mehr Stimme der Schwachen und streiten nicht mehr mit den Reichen«, sagt der Zschopauer Pfarrer. »Diese Berührungsängste hatte Jesus nicht.«
Teilnehmer: 43
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