Demokratie im Stresstest
Wahlen: Die Gesellschaft steht unter Spannung. Viele erwarten mit Sorge die nächsten Wahlen. Die Kirchen betonen den Zusammenhalt und die Menschenwürde eines Jeden. Doch können die Kräfte der Spaltung aufgehalten werden?Wenn am 1. September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Landtagswahlen stattfinden, wird mit Spannung geschaut, in welche Richtung die Länder gehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass bisherige Regierungsmodelle möglicherweise nicht mehr greifen. Angesichts von zum Teil harten Wahlkämpfen und Tendenzen der Spaltung der Gesellschaft wächst die Sorge vor der Zukunft. Einer Umfrage zufolge blicken viele Menschen sorgenvoll in die eigene Zukunft und auf die Demokratie im Land. Nach Angaben der Körber-Stiftung vom Dienstag sehen mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) mit Sorge in die Zukunft. 51 Prozent haben ein weniger großes oder geringes Vertrauen in die Demokratie. 2020 hatten nur 42 Prozent der Befragten gesagt, dass beim Blick auf die eigene Zukunft die Sorgen überwiegen.
Um den Spannungen, Sorgen und Fragen zu begegnen, haben die Kirchen zahlreiche Angebote und Initiativen gestartet. So gab es vergangene Woche unter dem Titel »Wie christlich ist die sächsische Politik?« in Bautzen, Leipzig und Dresden einen Vergleich der Wahlprogramme der Parteien mit christlichen Positionierungen (siehe Seite 3). Und Landesbischof Tobias Bilz befragt in einer Veranstaltungsreihe in der Volkshochschule Dresden ab 15. August die Spitzenkandidaten der Parteien, inwieweit ihre Programme den Kriterien der Menschenwürde, Bewahrung der Schöpfung und gesellschaftlichen Solidarität standhalten. Auch viele Gemeinden stellen ihre Kirchen für Wahlforen und die Orientierungssuche zur Verfügung. Oft wird Mut gemacht, Auseinandersetzungen auszutragen, auch wenn das schmerzhaft sein kann. So erklärte die Evangelische Akademie Berlin: Wir »hören in unseren Veranstaltungen viele berechtige Fragen zu politischen Konzepten oder gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und auch Kritik an kirchlichen Antwortversuchen. Wir spüren Unsicherheiten, Ängste und manchmal Aggressionen.« Doch Akademiedirektorin Friederike Krippner betonte: »Um unserer Zukunft willen sollten Unterschiede im Blick auf die Einstellungen der Menschen wahrgenommen und angesprochen werden. Aufreibende Dialoge müssen wir führen und nicht vermeiden.« Und der Direktor der Evangelischen Akademie Sachsens, Stephan Bickhardt, ergänzt: »Wir brauchen den Streit um die besten Lösungen in der Mitte der Gesellschaft.« Dabei müsse die Pluralität der Mitte anerkannt werden.
Die Akademien plädieren dafür, Diskursräume zu öffnen und gleichzeitig zu markieren, wo aus theologischer Sicht Grenzen des Sagbaren liegen. Einfache Antworten sollten vermieden und echte Lösungen für komplexe Fragen gesucht werden. »Wir brauchen keinen Überbietungswettbewerb am rechten Rand. Vielmehr braucht es die Fähigkeit, sich differenziert und informiert in komplexen Konflikten zu äußern«, so die Direktorinnen und Direktoren der fünf ostdeutschen Evangelischen Akademien in ihrer »Stellungnahme zur Demokratie«. Die Berliner Direktorin Krippner ergänzt die Beobachtung, dass starke gesellschaftliche Strömungen die derzeitige angespannte gesellschaftliche Stimmungslage ausnutzen: »Sie antworten darauf mit antieuropäischen, nationalistischen, antiliberalen und antipluralistischen Positionierungen, die das falsche Versprechen sehr einfacher Antworten auf komplexe Probleme bergen.«
Auseinandersetzung, Orientierung und Markierung roter Linien – so könnte die Leitlinie der kirchlichen Aktivitäten im Vorfeld der Wahlen beschrieben werden. In einer persönlichen Bitte der sächsischen Bischöfe wird das so ausgedrückt: »Treten Sie ein für unsere freie und vielfältige Gesellschaftsordnung auf der Grundlage unserer Verfassung! Bedenken Sie bei Ihrer Wahlentscheidung: Die Orientierung an den christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft, an den Menschenrechten, an der Gleichheit der Menschen in allen Lebensphasen, an den Werten der Demokratie, eines sozialen Rechtsstaats und einer sozialen Marktwirtschaft hat unserem Land Frieden und Wohlstand gebracht.«
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