So, lieber Paul, da Sie diese meine Äußerungen vermutlich in Grund und Boden verdammen, rufe ich hiermit einen Zeugen auf, den Sie seinerzeit ja mit allen Kräften verteidigt haben: Herrn Bonhoeffer. Ich zitiere aus dem 1. Kapitel seiner "Nachfolge"; Überschrift: "Die teure Gnade".
„Die Lehre der Schüler war also unanfechtbar von der Lehre Luthers her, und doch wurde diese Lehre das Ende und die Vernichtung der Reformation als Offenbarung der teuren Gnade Gottes auf Erden. Aus der Rechtfertigung des Sünders in der Welt wurde die Rechtfertigung der Sünde und der Welt. Aus der teuren Gnade wurde die billige Gnade ohne Nachfolge.
Sagte Luther, daß unser Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben, und daß darum bei Gott nichts gilt "denn Gnad und Gunst, die Sünden zu vergeben", so sagte er es als einer, der sich bis zu diesem Augenblick und schon im selben Augenblick wieder neu in die Nachfolge Jesu, zum Verlassen von allem, was er hatte, berufen wußte. Die Erkenntnis der Gnade war für ihn der letzte radikale Bruch mit der Sünde seines Lebens, niemals aber ihre Rechtfertigung. Sie war im Ergreifen der Vergebung die letzte radikale Absage an das eigenwillige Leben, sie war darin selbst erst eigentlich ernster Ruf zur Nachfolge. Sie war ihm jeweils "Resultat", freilich göttliches, nicht menschliches Resultat. Dieses Resultat aber wurde von den Nachfahren zur prinzipiellen Voraussetzung einer Kalkulation gemacht. Darin lag das ganze Unheil. Ist Gnade das von Christus selbst geschenkte "Resultat" christlichen Lebens, so ist dieses keinen Augenblick dispensiert von der Nachfolge. Ist aber Gnade prinzipielle Voraussetzung meines christlichen Lebens, so habe ich damit im Voraus die Rechtfertigung meiner Sünden, die ich im Leben in der Welt tue. Ich kann nun auf diese Gnade hin sündigen, die Welt ist ja im Prinzip durch Gnade gerechtfertigt. Ich bleibe daher in meiner bürgerlich-weltlichen Existenz wie bisher, es bleibt alles beim alten, und ich darf sicher sein, daß mich die Gnade Gottes bedeckt.
Die ganze Welt ist unter dieser Gnade "christlich" geworden, das Christentum aber ist unter dieser Gnade in nie dagewesener Weise zur Welt geworden. Der Konflikt zwischen christlichem und bürgerlichem Berufsleben ist aufgehoben. Das christliche Leben besteht eben darin, daß ich in der Welt und wie die Welt lebe, mich in nichts von ihr unterscheide, ja mich auch gar nicht - um der Gnade willen! - von ihr unterscheiden darf, daß ich mich aber zu gegebener Zeit aus dem Raum der Welt in den Raum der Kirche begebe, um mich dort der Vergebung meiner Sünden vergewissern zu lassen. Ich bin von der Nachfolge Jesu befreit - durch die billige Gnade, die der bitterste Feind der Nachfolge sein muß, die die wahre Nachfolge hassen und schmähen muß. Gnade als Voraussetzung ist billigste Gnade; Gnade als Resultat teure Gnade. Es ist erschreckend, zu erkennen, was daran liegt, in welcher Weise eine evangelische Wahrheit ausgesprochen und gebraucht wird. Es ist dasselbe Wort von der Rechtfertigung aus Gnaden allein; und doch führt der falsche Gebrauch desselben Satzes zur vollkommenen Zerstörung seines Wesens.
A.Rau
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