Teilen macht nicht immer Spaß
Am Martinstag wird das Teilen gefeiert – so lange es nur um Martinshörnchen ging, war das kein Problem. Aber jetzt wollen tausende Flüchtende etwas ab vom Kuchen.
Der Heilige Martin ist längst eine christliche Märchenfigur geworden. Sein Mantel, den er der Legende nach mit einem Bettler teilte, ist Hörnchen gewichen. Kinder ziehen am Martinstag mit Lampions durch die Straßen, rabimmel-rabammel-rabumm. Doch plötzlich steht der Bettler leibhaftig vor der Tür: in Gestalt von tausenden Flüchtenden und Glückssuchern aus fernen Ländern. Das ist gar nicht mehr märchenhaft. Mit denen allen teilen?
Das ist zu viel, rufen Tausende auf Protesten vor Flüchtlingsheimen und bei Pegida-Demonstrationen. »Das überrascht mich als Sozialpsychologe nicht«, sagt Professor Roland Deutsch von der TU Dresden. Zwar liege das Teilen in der Natur der Menschen und brachte ihnen in der Evolution einige Vorteile – aber es richte sich vor allem an nahe Menschen und an die eigene Gruppe. Oder nach eigenem Vorteil.
»Doch Forschungsergebnisse geben Hinweise darauf, dass die Hilfsbereitschaft steigt, wenn man die Gemeinsamkeiten zwischen Menschengruppen betont statt die Unterschiede«, sagt Psychologieprofessor Roland Deutsch. »So wie sich der christliche Ethos des Teilens über die Gebundenheit an eine Gruppe hinwegsetzt und ausdehnt auf Menschen allgemein.«
Jesus war auch da noch radikaler. Als ein junger Mann aus wohlhabendem Hause ihn nach dem ewigen Leben fragte, bekam er zur Antwort: »Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben« (Matthäus 19, 21). Nicht ein paar Spenden, nicht eine Lichterkette – wirklich alles teilen. Der Reiche protestierte nicht. Er ging betrübt davon. Das war zu viel verlangt.
»Mit dem ethischen Radikalismus von Jesus kann man keine Politik machen«, sagt der Leipziger Professor für evangelische Ethik, Rochus Leonhardt. Jesus habe sich nicht dauerhaft in der Welt einrichten wollen, weil er auf das nahe Reich Gottes zählte. Als das aber auf sich warten ließ, begannen schon die frühen Christen Jesu Anspruch auf handhabbare Größe zu schrumpfen.
»Für politische Verantwortungsträger ist es heikel, wenn man Menschen dazu zwingt, Dinge abzugeben, die sie eigentlich nicht abgeben wollen«, sagt mit Blick auf die Flüchtlingsdebatten der Leipziger Theologieprofessor Leonhardt. Die tausendfache nicht verordnete Bereitschaft zum Teilen hält er für wichtig und richtig. »Doch das Teilen wird heute quasi zu einer Ideologie und zu einem Druck gemacht. Es wird uns permanent ein schlechtes Gewisse eingeredet, weil wir im reichen Westen leben – aber diese Schuld-Zusammenhänge sind mir zu großräumig.«
Als der römische Offizier Martin der Legende nach um das Jahr 334 herum in bitterer Kälte einem unbekleideten Bettler begegnete, sah er keine moralische Pflicht, nichts Abstraktes. Er sah einen Menschen. »Wenn man ein Einzelschicksal kennen lernt, ändern sich die Einstellungen – das wissen wir aus der Forschung zur Hilfsbereitschaft«, sagt der Dresdner Psychologieprofessor Roland Deutsch.
Martin teilte seinen Offiziersmantel mit dem Frierenden. Mit diesem einen. Die andere Hälfte brauchte er für sich in der Kälte. »Er hat niemandem ein schlechtes Gewissen eingeredet, der anders handelte«, sagt der Theologe Rochus Leonhardt. »Das ist der Unterschied zwischen einem authentischen Teilen und einer ideologischen Teilungspflicht. Da hat die kirchliche Verkündigung noch etlichen Reflexionsbedarf.«
In der Nacht darauf soll Martin im Traum Jesus erschienen sein, bekleidet mit seinem geteilten Militärmantel. Im Evangelium aber waren die Jünger entsetzt, als sie vom hohen Anspruch Jesu hörten. Wer kann das schaffen, alles zu teilen und wegzugeben? »Bei den Menschen ist es unmöglich«, gab Jesus zur Antwort, »aber bei Gott sind alle Dinge möglich.«
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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